zum Hauptinhalt

Berlin: Geberland? Nicht mehr in unserem Leben!

Pannenflughafen, Gentrifizierung und Schuldenschnitt: Was die sechs Spitzenkandidaten über die Zukunft Berlins denken.

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Finanzen, Mieten, BER und Koalitionen: Bei der Diskussion mit den sechs Spitzenkandidaten der im Bund und im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien am Montagabend befragten die Tagesspiegel-Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt die Spitzenpolitiker Eva Högl (SPD), Monika Grütters (CDU), Renate Künast (Grüne), Gregor Gysi (Linke), Martin Lindner (FDP) und Cornelia Otto (Piraten). Die wiederum äußerten sich teils überraschend deutlich.

MIETE/WOHNEN

Vor einigen Jahren sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), steigende Mieten spiegelten den wachsenden Wohlstand in der Stadt wider. Auf die Frage, ob das ein gutes Signal sei, sagte SPD-Parteifreundin Högl: „Wowereit hat Recht, weil Berlin eine attraktive Stadt ist.“ Allerdings müsse man mehr bezahlbaren Wohnraum im Innenstadtbereich schaffen und ein soziales Mietrecht gestalten. Högl forderte eine Liegenschaftspolitik, um Bauanreize für Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften zu bieten.

FDP-Spitzenkandidat Lindner wandte ein, Berlin habe im internationalen Vergleich immer noch „günstigen Wohnraum“ anzubieten. Man müsse aber das Bauen für Investoren attraktiver machen. Mietdeckelung würde nur schaden. „Da rutscht die Rendite in den Bereich, in dem es günstiger ist, Staatsanleihen zu kaufen“, sagte Lindner.

CDU-Kandidatin Grütters will den privaten Wohnungsbau „stimulieren“, Genossenschaften „systematisch stützen“ und den sozialen Wohnungsbau fördern. Die Piratenkandidatin Otto wies darauf hin, dass in Bezirken wie Friedrichshain privat viel in Wohnungen investiert werde, „nur kann sich die Mieten keiner mehr leisten, weil die Einkommen nicht gestiegen sind“.

Grünen-Spitzenfrau Künast kritisierte, dass der von CDU und SPD geplante Wohnungsbaufonds in Höhe von 320 Millionen Euro noch nicht im Haushalt verankert sei. Auf Bundesebene forderte sie die Reduzierung der Modernisierungsumlage von elf auf neun Prozent, die Berücksichtigung von Barrierefreiheit und energetischer Sanierung bei Zuschüssen für die Wohnungsfinanzierung.

Linkspolitiker Gysi will Genossenschaften fördern und Fördermittel für Investoren mit dem Bau von unbefristeten Sozialwohnungen verknüpfen. Neumieten dürften nur bei Qualitätssteigerungen der Wohnung erhöht werden – und nicht bis zu 15 Prozent wie bisher.

FINANZEN/HAUPTSTADT

Berlin werde früher oder später zum Geberland im Länderfinanzausgleich, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kürzlich. So wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Diesen historischen Optimismus wollten sich die Spitzenkandidaten nicht zu eigen machen. Auch nicht die Sozialdemokratin Eva Högl. Berlin als zahlendes Land im bundesstaatlichen Finanzausgleich? „Auf absehbare Zeit nicht“, sagte sie. Auch CDU-Frau Monika Grütters mag das nicht glauben. Obwohl die Berliner Wirtschaft inzwischen überproportional wachse. Grünen-Kandidatin Renate Künast sagte, Berlin werde „nicht mehr in unserem Leben“ zum Geberland. Auch der Linken-Spitzenmann Gregor Gysi sieht die Hauptstadt, die gleichzeitig ein Bundesland ist, nicht als Nettozahler. „Es sei denn, es gibt einen Schuldenschnitt“ – (also eine Übernahme des Schuldenbergs durch den Bund). Aber das sei „ganz schwer zu erreichen“.

Der FDP-Politiker Martin Lindner wollte sich nicht festlegen. Aber er wisse, dass Berlin „unter seinen Potenzialen regiert“ werde. Trotzdem sollte die Stadt es mindestens schaffen, sich finanzpolitisch „dauerhaft selbst zu ernähren“. Die Piratin Cornelia Otto sieht einen Schuldenabbau Berlins mithilfe des Bundes kritisch: „Es ist nicht möglich, über 60 Milliarden Euro Schulden auf einmal abzubauen.“

Weitgehend einig waren sich die Parteienvertreter, dass Berlin wirtschaftlich ein gutes Stück vorangekommen ist und dass der Bund gefordert ist, die Förderung von Kultur und Wissenschaft in der Hauptstadt weiter voranzutreiben. Wobei Grütters und Lindner auf die vielfältigen Anstrengungen der Bundesregierung hinwiesen. Einhellige Kritik kam von CDU, Grünen, FDP und Piraten an missglückten oder teuren Großprojekten, die sich Berlin leiste. Genannt wurde nicht nur der Flughafen BER, sondern auch der geplante Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek. Högl war allerdings der Meinung, dass Berlin solche Großprojekte brauche, um seine Attraktivität weiter zu erhöhen.

Die Bundestagsabgeordneten Högl, Grütters und Gysi reagierten entschieden auf die Frage, ob sie sich im Parlament genug für die deutsche Hauptstadt engagierten. „Wir versuchen es ja, aber es ist ein hartes Brot“, sagte Gysi. Grütters kündigte eine neue Initiative für einen Umzug der noch in Bonn stationierten Bundesministerien nach Berlin an: „Das müssen wir endlich hinkriegen, diese unselige Teilung muss aufhören.“

VERKEHR/BER

„Für den BER werden wir im ganzen Land verarscht“, stellte Gregor Gysi fest und gab damit den kritischen Ton beim Thema Berliner Luftverkehr vor. Renate Künast forderte, die Flughafengesellschaft brauche „endlich einen guten Aufsichtsrat“. Piraten-Kandidatin Otto beklagte, dass wegen mangelnder Kontrolle und Transparenz zu viel Geld in den BER fließe, das zum Beispiel in der Bildung fehle. Beim Thema Anwohnerschutz gingen die Positionen deutlich auseinander. Gysi und Künast forderten für den BER ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr. Zudem sollten Fluglinien größere Umwege in Kauf nehmen, um Natur und Menschen zu schonen, forderte Gysi. Und Künast, die sich auch für den Ausbau der Bahnverbindungen aussprach, verlangte veränderte Flughafengebühren, die leisere Flugzeuge bevorzugen. FDP-Kandidat Lindner hingegen findet das Nachtflugverbot eine „irrsinnige Idee“, die der Wirtschaftlichkeit widerspreche. Man könne nicht erwarten, billig in den Urlaub zu fliegen und im Supermarkt einzukaufen, ohne die Folgen von Transport und Verkehr zu akzeptieren.

KOALITIONEN

Beim Thema Koalitionen hielten sich die Kandidaten etwas zurück – bis auf Gregor Gysi, der schelmisch sagte, er könne garantieren, dass „die Linke die einzige Partei ist, die ausschließt, Angela Merkel zur Kanzlerin zu wählen“. Mit zehn Bedingungen für Rot-Rot-Grün wirbt die Linke für das Bündnis, das von Grünen und SPD abgelehnt wird. Doch ganz so kategorisch ausschließen wie die SPD-Spitze wollte die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Eva Högl Rot-Rot-Grün nicht. „Bitte den 22.9. abwarten. Wir schließen erst mal gar nichts aus“, sagte Högl. Auch Grünen-Spitzenfrau Künast sagte: „Die Zeit der Ausschließeritis ist vorbei“, meinte damit jedoch ein schwarz-grünes Bündnis. Die Grünen-Spitze will die Debatte darüber vor der Wahl unter der Decke halten: Rot-Grün ist das Ziel, alles weitere wird später besprochen. Künast sprach denn auch nur von „Ausschlusskriterien“ wie bei Schwarz-Grün. Für die Piraten-Kandidatin Otto ist die Koalitionsfrage klar. „Wir wollen Themenbündnisse, keinen Fraktionszwang.“ CDU-Spitzenkandidatin Monika Grütters setzte stillschweigend wohl die Weiterführung von Schwarz-Gelb voraus, das Wort „Große Koalition“ kam ihr nicht über die Lippen. Und FDP-Kandidat Martin Lindner sprach in Grütters’ Richtung auch von einer Neuauflage von Schwarz-Gelb.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false