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Grenzfragen. Vor dem Brandenburger Tor blieb es am Tag des Gedenkens an den Mauerbau bei verbalen Auseinandersetzungen, die Polizei musste nicht einschreiten.

© Sandra Dassler

Gedenken an die Maueropfer: „Dass das alles nicht vergessen wird“

Am Brandenburger Tor erinnern Maueropfer an die Schreckenstaten des SED-Regimes. Doch manche sehen Geschichte ganz anders.

Von Sandra Dassler

Auch 1961 sei der 13. August ein schöner Tag gewesen. Natürlich nur in Sachen Wetter, sagt Karl-Heinz Richter: „Fuffzehn war ick da und da hinten unter den Linden ham wa jestanden, meene Kumpel unn icke. Unn jewusst, dass dett keen Spaß ist.“ Sie hätten nur noch raus gewollt aus der zugemauerten DDR, erzählt Richter den Zuhörern vor dem Brandenburger Tor. Etwas später seien sie auf den fahrenden Zug Moskau-Paris aufgesprungen. Einige schafften es in den Westen, er nur ins DDR-Gefängnis.

Für ihn sei es nicht zu verstehen, dass es auch 2016 noch Leute gibt, die behaupten, die Mauer habe den Frieden erhalten. „Die haben uns eingesperrt, nichts weiter“, sagt er. Viele Passanten applaudieren. Der Förderverein der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) haben an diesem Sonnabend zum Gedenken auf dem Pariser Platz aufgerufen – parallel zur offiziellen Feier in der Gedenkstätte Berliner Mauer. Viele Touristen sind beeindruckt. „Wir haben in der Schule über die Mauer gesprochen, aber was sie bedeutete, wird uns erst hier bewusst“, sagt eine 13-jährige Niederländerin. Sie lauscht der historischen Ansage aus dem Lautsprecher: „Männer der NVA. Hier spricht das Studio am Stacheldraht. Wer einen Menschen erschießt, begeht einen Mord ... Ihr werdet Euch dafür verantworten müssen.“

Die Mauer-Opfer sind empört

Nicht jeder denkt so. Gegen 14 Uhr entrollen Mitglieder des Vereins „Unentdecktes Land“ ein Transparent mit der Aufschrift: „Diese Grenze wurde aufgehoben, damit wir gemeinsam wieder in den Krieg ziehen.“ Vorwiegend jüngere Leute verteilen Flyer. Darauf steht, dass die DDR ihre Grenze antifaschistisch nannte und mit diesem Antifaschismus „keine AfD und Pegida, keine brennenden Unterkünfte für Geflüchtete und keine über 200 von Faschisten getöteten Menschen seit 1990 möglich gewesen“ wären.

Die Mauer-Opfer sind empört. Mit Plakaten laufen sie zum Stand von „Unentdecktes Land“. Hitzige Diskussionen, vorzugsweise unter den älteren Jahrgängen. „Die DDR war eine Diktatur“, ruft eine Frau. „Ja, aber eine Diktatur des Proletariats“, antwortet ein Mann. Der Veranstalter von „Unentdecktes Land“ sagt, dass er bis vor kurzem gar nicht gewusst habe, dass am gleichen Tag am Brandenburger Tor eine Veranstaltung der Maueropfer stattfinden sollte. Sein Verein wolle diese keineswegs verhöhnen, sondern habe nur etwas gegen die Militarisierung von Deutschland und gegen „die Show mit den tausend Toten an der deutsch-deutschen Grenze“.

Mann schluckte im Gefängnis Glassplitter

Dieter Dombrowski, brandenburgischer CDU-Landtagsabgeordneter und UOKG-Chef, stimmt das traurig. Wegen versuchter Republikflucht teilte er im Gefängnis seine Zelle mit einem Mann, der in die Selbstschussanlagen geraten und furchtbar entstellt war. Er hatte keine Chance, freigekauft zu werden, sagte Dombrowski, weil niemand wissen sollte, dass die DDR Selbstschussanlagen hatte. Eines Tages schluckte er Glassplitter, um zu sterben. Andere Gefangene übergossen sich mit Brennstoff, zündeten sich an. „Hier geht es nicht um eine Show, sondern darum, dass das alles nicht vergessen wird“, sagt er. Ein älteres Ehepaar aus Belgien stimmt ihm zu. „Gerade in der heutigen Zeit“ sagt der Mann, „muss man sich erinnern, dass man mit Mauern und Zäunen auf Dauer keine Probleme lösen kann.“

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