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Berlin: Geduldet – auf unbestimmte Zeit

Bethanien-Besetzer sind überrascht vom Einlenken des Bezirks. Die Künstler im Haus sind zwiegespalten

Die erste Verwirrung hat sich gelegt, aber so richtig versteht noch keiner im Haus, was die Bezirksspitze am Freitag geritten hat. Weder die Besetzer noch die Künstler, die man an diesem Sonntag im Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien antrifft.

Seit Juni hat das linksalternative Wohnprojekt „Yorckstraße 59“ den Südflügel des Künstlerhauses besetzt. Seitdem streiten der Bezirk und die Besetzer darum, wie lange diese – rund 50 Leute – bleiben dürfen, bis sie eine andere Unterkunft gefunden haben. Es gab Ankündigungen, diverse Verhandlungen, die scheiterten, es gab gegenseitige Vorwürfe und Ultimaten. Zuletzt schienen die Fronten für die Ewigkeit zementiert. „Ende Oktober läuft die Duldung aus“, stellte Cornelia Reinauer klar, die Bezirksbürgermeisterin von der Linkspartei. „Sollte der Südflügel dann nicht geräumt sein, lassen wir ihn räumen.“

Und jetzt will der Bezirk die Besetzer plötzlich doch dulden. Das hat diese selbst überrascht. „Wir haben durch Journalisten davon erfahren, dass der Bezirk nun wieder mit uns verhandeln will“, sagen Tine und Jonas, die tatsächlich anders heißen. Es gibt in dem weitläufigen Gebäude durchaus Künstler oder Initiativen, die den Besetzern wohl gesonnen sind. „Wir haben mit ihnen nicht die geringsten Probleme“, sagt eine freundliche Dame mittleren Alters mit rötlich gefärbten Haaren. Sie ist die Chefin eines Projekts, das im Erdgeschoss des Bethanien Ausstellungen für unbekannte Künstler organisiert. „Die Besetzer sind sehr freundlich. Ich sehe nicht, warum sie nicht hier bleiben sollten, so lange es keine konkreten Pläne für die Zukunft dieses Hauses gibt.“ Einen Grund, nun weniger Miete zu zahlen, sieht sie deswegen nicht. Auch die beiden jungen Stipendiatinnen, die ihre Installationen gerade in einer anderen Kunstausstellung im Erdgeschoss zeigen, fühlen sich von den Besetzern nicht gestört. „Die sind sehr unauffällig. Es gibt keine Probleme.“

Eine einhellige Meinung ist das nicht. Christoph Tannert zum Beispiel, der Leiter des Künstlerhauses, hat die Besetzung vom ersten Augenblick an scharf verurteilt – er klagte über Vandalismus. Er hat angedroht, eventuell künftig weniger Miete zu zahlen. Tannert will, dass ein finanzkräftiger Investor das Haus übernimmt, und erhofft sich, das künstlerische Niveau möge steigen. Allein, der Bezirk spricht zwar seit Monaten davon, einen Interessenten zu haben. Merkwürdig knapp werden allerdings die Antworten, wenn man nach dem Konzept fragt.

Dass Bezirksbürgermeisterin Reinauer nun doch noch einmal mit ihnen verhandeln will, werten die Besetzer als Indiz dafür, dass die Verhandlungen mit dem Investor nicht so laufen wie gewünscht. Der unmittelbare Grund für den Sinneswandel des Bezirks ist allerdings ein anderer: Anders als vom Bezirk erhofft, sah die Polizei keine rechtliche Grundlage für eine Räumung. Dafür habe der Bezirk die Besetzer zu lange geduldet.

Der Duldungsvertrag, den der Bezirk jetzt anstrebt, lag vor gut zwei Monaten quasi schon einmal unterschriftsreif vor.

Marc Neller

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