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Berlin: Gefährliche Ästhetik

Fassaden werden nicht überprüft, obwohl dutzende Genehmigungen für einen Neubau nötig sind

Fassaden sind Schmuckwerk. Genau so werden sie auch behandelt – zumindest, was ihre Prüfung und Genehmigung angeht. Steht ein neues Gebäude zur Begutachtung durch die Behörden an, wird alles Mögliche geprüft, vor allem was die Statik, die Fluchtwege oder das Fundament angeht. Für die Sicherheit der Fassaden fühlt sich niemand richtig zuständig.

Die Baugenehmigung und die verschiedenen Teile der offiziellen Bauabnahme des Hauptbahnhofs hat die Stadtentwicklungsverwaltung übernommen. Deren Sprecherin Petra Rohland ist zurückhaltend: „Die Ursachen werden geprüft“, sagt sie auf Anfrage. Einen Schuldigen zu finden, sei am Tag danach nicht möglich. Wichtigste Vorschrift für Dächer und Fassaden sind die Vorgaben des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Das hat in der Norm 1055-4 auf 101 Seiten festgelegt, welchem Winddruck Fassaden standzuhalten haben. Berlin liegt in der Norm wie der ganz überwiegende Teil Deutschlands, in der Windzone zwei, also im Mittelfeld. Die höchsten Anforderungen hat die Windlastzone vier, die vor allem im Nordwesten gilt. Das DIN legt Berechnungsgrundlagen vor, ohne jedoch selber die Einhaltung zu prüfen. Das sei Sache der Architekten und des Bauherren.

Niemand hat bei den Stahlträgern am Hauptbahnhof damit gerechnet, dass diese zwar tonnenschweren, aber dennoch nur aufliegenden Teile durch den Wind verschoben oder angehoben werden könnten und anschließend herunterstürzen würden. Geprüft hat diesen konkreten Fall aber offenbar auch niemand.

Das Eisenbahnbundesamt hat beim Hauptbahnhof in über 100 Einzelfällen seine Zustimmung erteilt – also genehmigt, was normalerweise nicht in ihren Richtlinien steht. „Die Stadtentwicklungsverwaltung hat den Prüfingenieur bestellt“, erklärt Petra Rohland weiter. Das ist so etwas wie eine unabhängige Instanz zu dem Architekten, zum Bauherrn und zum Statiker. Aber der Prüfstatiker befasst sich eben nicht mit den nicht-tragenden Elementen der Fassade.

Eine Lücke im System? Dass bei neuen Gebäuden Teile der Fassade herabstürzen oder abzubrechen drohen, auch ohne Sturm, hat Berlin in den letzten Jahren des Öfteren erlebt. Prominentes Beispiel waren die zersplitternden Glasscheiben am Kaufhaus Lafayette, die am Ende komplett ausgewechselt werden mussten. Derzeit sind der Kollhoff-Turm am Potsdamer Platz und das Philip-Johnson-Haus am Checkpoint Charlie aus Sicherheitsgründen eingerüstet.

Es gibt Statiker und Baubeamte, die in den wackeligen Fassaden der Neubauten keinen Zufall sehen. Ihren Namen möchten sie nicht in der Zeitung lesen, wenn sie sagen: „Architekten wollen alles luftig und leicht, möglichst schwebend. Und wenn jemand Bedenken hat, dass es womöglich nicht hält, sehen sie gleich ihr Kunstwerk zerstört.“

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