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Berlin: Gefährliche Islamisten agierten unbemerkt

Nach bundesweiter Razzia gegen radikale Hizb ut-Tahrir gestehen Berliner Behörden indirekt Versäumnisse ein

Die Berliner Sicherheitsbehörden haben indirekt Versäumnisse und eine falsche Beurteilung der radikal-islamistischen Organisation „Hizb ut-Tahrir al Islami“ (Partei der islamischen Befreiung) eingestanden. Erst im Frühsommer habe man die Gruppe wahrgenommen, erklärten Innenstaatssekretär Lutz Diwell und Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid im Verfassungsschutzausschuss. Jetzt werde die Gruppe allerdings sehr aufmerksam beobachtet.

Während Sicherheitsbehörden anderer Bundesländer die Gruppe seit längerem beobachten, ist Hizb ut-Tahrir (HT) den Berlinern erst aufgefallen, nachdem sich ihre Propaganda für ein weltweites „Herrschaftssystem der Muslime" deutlich verstärkt habe. Staatssekretär Diwell machte dafür „mangelnde klare Strukturen“ verantwortlich. Wegen mehrerer Umsturzversuche ist die Gruppe in vielen arabischen Staaten verboten. In Ägypten stehen derzeit Aktivisten wegen dieses Vorwurfs vor Gericht.

In Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan gilt die 1952 im Nahen Osten gegründete Hizb ut-Tahrir als größte Untergrundbewegung. Sie will Zentralasien und später die ganze „umma“ (islamische Weltgemeinschaft) – notfalls gewaltsam – zu einem „Kalifat“ vereinigen. In Berlin werden nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes regelmäßig vor Moscheen und auf Wochenmärkten Flugblätter und die Zeitschrift „Explizit“ verteilt. Ende Oktober führte Hizb ut-Tahrir an der Technischen Universität eine Veranstaltung durch, auf der zum Heiligen Krieg gegen Israel aufgerufen wurde. „Explizit“ gilt den Verfassungsschützern als Sprachrohr der HT. Darin werden „sämtliche westliche Werte verunglimpft“, sagte Staatssekretär Diwell. Eine konkrete Anschlagsgefahr durch HT-Aktivisten sei zur Zeit nicht erkennbar, sagte Verfassungsschutzchefin Schmid, aber in der aggressiven Propaganda könnte „perspektivisch Sprengstoff stecken". Wie viele Mitglieder es in Berlin gibt, wusste sie nicht zu sagen. Lediglich von einer „kleinen Gruppe" ist die Rede.

In anderen Bundesländern schätzt man eine Gefährdung durch Hizb ut-Tahrir offenbar höher ein. In der vergangenen Woche durchsuchten Fahnder des Bundeskriminalamtes bundesweit 27 Wohnungen mutmaßlicher Mitglieder, darunter auch zwei in Berlin. In Münster wurden dabei verdächtige Chemikalien sichergestellt und in Hamburg größere Mengen von Propagandamaterial. In Frankfurt/Main stießen die Beamten auf einen Rucksack mit rund 280 000 Euro unbekannter Herkunft. Grund für die Durchsuchung: Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Für die Frankfurter Staatsanwaltschaft gibt es Hinweise, dass die Organisation, deren europäische Zentrale in London vermutet wird, „Kontakte zu den Attentätern des 11. September hatte“. Offiziell lehnt die Gruppierung zwar Gewalt ab, im HT-Sprachrohr „Explizit“ jedoch werden Selbstmordattentäter offen zu Märtyrern erklärt. Ein Verbot von Hizb ut-Tahrir müsse in Deutschland durch das Bundesinnenministerium erfolgen, sagte Innenstaatssekretär Diwell, Berlin seien hier die Hände gebunden.

Otto Diederichs

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