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Berlin: Gefährliche Lässigkeit

Erneut Diskussion um Schutzwesten nach Schüssen auf Polizist im Regierungsviertel – Täter weiter auf der Flucht

Von Tanja Buntrock

und Werner Schmidt

Rolf Seifert ist immer noch auf der Flucht. Am Sonnabend wollten ihn drei Zivilbeamte vom zuständigen Abschnitt 34 an der Invalidenstraße in der Nähe des Kanzleramtes festnehmen. Als sie sich vor dem Baucontainer zu erkennen gaben, eröffnete der 62-jährige Wohnungslose sofort das Feuer und traf den 33-jährigen Kommissar Carsten L. in den Oberkörper. Er trug keine Schutzweste. Rolf Seifert war als nicht gefährlich eingestuft worden. Der Polizist wurde gestern wieder aus dem Krankenhaus entlassen, ihm geht es den Umständen entsprechend gut.

Polizeiintern wird nun erneut über den Gebrauch von Schutzwesten diskutiert. Es gibt zwar keine dienstliche Anweisung an die Beamten – aber eindeutige Empfehlungen. In den Dienststellen der Direktion 3 hängen überall Plakate, mit denen die Polizisten aufgefordert werden: „Trage die Schutzweste“. Dass die Beamten bei dem Versuch, Seifert festzunehmen, ihre Westen nicht anzogen, könnte nicht daran gelegen haben, dass sie keine hatten, sagte ein hoher Polizeibeamter. Gerade die in Zivil eingesetzten Polizisten seien mit individuell zugeschnittenen Westen ausgestattet worden. Insgesamt hat die Polizei rund 12 000 Schutzwesten. Davon seien zwei Drittel speziell für den jeweiligen Besitzer angefertigt worden. Der Rest stehe im so genannten Pool von Fall zu Fall für diejenigen zur Verfügung, die noch keine haben.

Auch für die Polizeien der anderen Bundesländer gibt es keine dienstliche Verpflichtung, ihre Schutzwesten anzuziehen. „Jeder Polizist ist ausgebildet genug, um selbst zu entscheiden, wann er sie überzieht und wann nicht“, sagte der Leiter der Polizeidirektion 3, Alfred Markowski. „Das kann man nicht so machen wie mit der Gurtpflicht.“ Besonders im Sommer sei es für die Beamten oft unerträglich, ständig mit dem kiloschweren Schutz herumzulaufen. Bedeckt werde ohnehin nur der Oberkörper. Unterleib, Kopf, Arme und Beine blieben weiterhin gefährdet.

Auf der Suche nach Rolf Seifert geht die Polizei nun mit einer anderen Taktik vor. „Wir fahnden gezielt und intensiv nach dem Täter“, sagte ein Polizeisprecher. Aus ermittlungstaktischen Gründen will die Polizei nichts Genaueres sagen. Doch wie bekannt wurde, sind nun so genannte „Intensivfahnder“ auf der Suche nach Rolf Seifert. Wie der Name schon sagt, fahnden diese Beamten gezielt und besonders intensiv nach ausgewählten, zur Festnahme gesuchten Straftätern, die meist als besonders gefährlich gelten. Sie passen sich bei ihrer Fahndung notfalls auch dem „jeweiligen Milieu“ an. Die Fahnder vermuten, dass sich Seifert in seine Heimat Thüringen abgesetzt hat.

Gleich nach der Tat und am Sonntag hatten 15 Beamte einer Einsatzhundertschaft, sechs Hundeführer sowie mehrere Funkwagenstreifen das Regierungsviertel durchkämmt: erfolglos. Rolf Seifert hatte seit Jahren in einem grünen Container auf einem ungenutzten Brachgelände, 100 Meter vom Park des Kanzleramtes entfernt, gehaust.

Gegen Rolf Seifert lag ein Haftbefehl vor: Er hatte seine Strafe nicht bezahlt, nachdem er mit seinem Fahrrad betrunken im Straßenverkehr erwischt worden war. Nun sollte er deswegen drei Monate in den Knast – meldete sich aber nicht zum Strafantritt.

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