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Rush Hour auf dem Gehweg. Viele Menschen verzichten jetzt lieber auf öffentliche Verkehrsmittel und sind zu Fuß unterwegs

© Doris Spiekermann-Klaas

Update

„Gefahr für Leib und Leben“ auf Gehwegen: Verband empfiehlt Fußgängern die Straße - Polizei widerspricht

Wie soll man auf engen Bürgersteigen Abstand halten? In manchem Fall besser auf die Straße ausweichen, meint der Verband FUSS. Die Polizei verweist auf die StVO.

Von Christian Hönicke

In Berlin und anderen Städten stehen Fußgänger derzeit vor einem Corona-Dilemma. Die Bürgersteige sind an vielen Stellen zu eng, um bei Spaziergängen den geforderten Mindestabstand zu anderen einzuhalten. Weil die Straßen in vielen Kiezen dagegen oft leer sind, weichen manche Fußgänger zu nahen Begegnungen aus, indem sie die Fahrbahn betreten. Darf man das?

Ja, findet die Fußgängerlobby FUSS e.V. und macht auf das derzeitige Dilemma aufmerksam. "Fußgänger sollen einerseits Gehwege benutzen", sagt FUSS-Vorstand Roland Stimpel. "Andererseits verbieten es ihnen aber die aktuellen Verordnungen der Länder, anderen Menschen zu nahe zu kommen."

Stimpel rät daher, auf die Straße auszuweichen, "wo es nötig und hinreichend sicher ist. Das kann beim verringerten Autoverkehr sicherer sein, als auf dem Gehweg anderen Menschen bedrohlich nah zu kommen.“

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Während zu nah an Mitmenschen vorbeizugehen derzeit "eine Gefahr für Leib und Leben" darstelle, sei das achtsame Ausweichen auf den Rand einer nicht zu stark befahrenen Straße "eindeutig das viel kleinere Übel". Das könne  allenfalls Auto- und Radfahrer "leicht irritieren".

Diesem Rat widerspricht die Berliner Polizei. "Die klare Empfehlung der Polizei lautet: Machen Sie das bitte nicht, Sie gefährden sich und andere ganz erheblich!", teilt Polizeisprecherin Anja Dierschke mit. "Die Straßenverkehrsordnung ist nicht außer Kraft gesetzt." Gemäß §25 der StVO müssten Fußgänger den Gehweg benutzen. "Tut man das nicht, begeht man eine Ordnungswidrigkeit", so Dierschke. Sie rät Fußgängern bei Begegnungen, sich selbst zurückzunehmen und im Zweifel zur Seite zu treten und andere passieren zu lassen. Gefragt sei "ein passives und deeskalierendes Verhalten, der eigenen Gesundheit zuliebe".

Der Fußgängerverband sieht das anders. "Zwangskontakt auf engen Gehwegen ist jetzt ebenso verboten und gefährlicher", kontert FUSS den Verweis der Polizei auf die StVO. Das Ausweichen auf die Straße sei bisweilen nötig. „Besonders dringend brauchen jetzt Ältere, Rollstuhlfahrer und chronisch Kranke Abstand zu anderen“, sagt FUSS-Vorstand Stimpel. „Fitte und Gesunde sollten sie auf engen Gehwegen möglichst verschonen.“ Er verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Das sprach 1995 einen Fußgänger frei, der Fahrbahnen sogar demonstrativ und in der Absicht benutzt hatte, Fahrer zum Ausweichen zu zwingen und deshalb wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr angeklagt war. Der Fußgänger wollte damit gegen straffrei zugeparkte Gehwege protestieren.

Allerdings stellte das Gericht damals fest, dass es sich zwar um keine Straftat gehandelt habe, jedoch vermutlich um eine Ordnungswidrigkeit, die bereits verjährt gewesen sei. FUSS empfiehlt das Betreten der Straße generell nur Erwachsenen, außerdem solle man auch nur auf der linken Seite gehen, um entgegen kommende Fahrzeuge im Auge zu haben.

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