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Berlin: Gefangene aus Tegel stehen wegen Misshandlung eines Mitgefangenen vor Gericht

Der Angeklagte rückt seine Brille zurecht, zupft sich am Ärmel, wippt nervös mit dem Fuß. Es ist ihm unangenehm, über den 24.

Der Angeklagte rückt seine Brille zurecht, zupft sich am Ärmel, wippt nervös mit dem Fuß. Es ist ihm unangenehm, über den 24. Juli 1998 zu sprechen. Am Abend dieses Tages haben mehrere Gefangene einen Mitgefangenen sadistisch gequält, getreten, geschlagen und erniedrigt. Das Ganze hat sich im Gefängnis Tegel abgespielt, in einem Fernsehraum der Station 8 in der Teilanstalt II. Das Opfer, ein 47-jähriger Mann, ist misshandelt worden, weil er nach Ansicht seiner Zellennachbarn ein "Kinderficker" ist. Und er bestreitet auch nicht, dass er hinter Gittern ist, weil mit Mädchen zwischen zwölf und 13 Jahren Sex-Videos gedreht und die Bänder anschließend verkauft hat. Aber darum geht es nicht an diesem Freitag im Saal 504 des Moabiter Kriminalgerichts. Es geht um Tritte, Schläge und um einen Gürtel, der dem Opfer in der Strafanstalt um den Hals gelegt worden ist.

Der Angeklagte, der so nervös mit dem rechten Fuß wippt, hat mitgemacht. "Was denn genau", will die Vorsitzende Richterin Renate Peschke wissen, und der Angeklagte berichtet mit gepresster Stimme von einem heißen Sommertag im Gefängnis, von stundenlangen Schachpartien in der Nachbarzelle und von einem Fernsehabend, der angeblich ganz friedlich begonnen hat. Der Angeklagte, der wegen eines Vermögensdeliktes in Haft ist, tastet sich Satzfetzen für Satzfetzen ans Geschehen heran. "Die Erniedrigung", stammelt er und verstummt. An jenem Abend im Fernsehraum ist er allerdings nicht schüchtern gewesen. "Da bin ich ausgeflippt. Ich bin aufgestanden und habe ihm einmal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen", sagt er, atmet tief durch und lehnt sich erleichtert zurück. Denn was jetzt noch zu sagen ist, betrifft andere: "Der Momo hat mich gefragt, ob ich mal zuhauen will. Denk an deine Schwester, hat er gesagt." Die Verteidigerin ergänzt, dass der Angeklagte "zu seiner Schwester in einem krankhaft engen Verhältnis steht". Das Gericht erfährt außerdem, dass die Schwester damals genau 13 Jahre alt war und dass der Mann drei Fotos von ihr in seiner Zelle aufbewahrt. Der Angeklagte hat seine Hemmungen jetzt überwunden. "Jemand hat dem W. einen Gürtel um den Hals gelegt und zugezogen. Er hat minutenlang bewußtlos auf dem Boden gelegen", sagt der Mann und erwähnt auch den Kochtopf auf dem Kopf des Opfers. "Mich kotzt es an, dass ich da mitgemacht habe", sagt der Mann auf der Anklagebank und trifft damit beim Staatsanwalt ins Schwarze. Der beantragt die Einstellung des Verfahrens, der Angeklagte darf ins Gefängnis zurückkehren, um den Rest seiner Strafhaft zu verbüßen. Doch da sind noch vier Mitangeklagte, die sich an der Quälerei beteiligt haben sollen. Der Gefangene mit dem Spitznamen "Momo" ist nicht unter ihnen, er hat sich letztes Jahr in seiner Zelle aufgehängt. Die Mitangeklagten wollen nichts sagen, und das müssen sie auch nicht. Richterin Peschke hat viele Fragen: Wer hat das Opfer gezwungen, sich nackt auszuziehen, Urin zu trinken, ein Stück Fleisch vom Boden zu essen? Wer hat dem Mann durch Fußtritte mehrere Rippen gebrochen, wer hat die Gürtelschlaufe zugezogen? Antworten darauf soll das Opfer geben. Aber der Zeuge, der inzwischen in ein anderes Gefängis verlegt wurde, hat Angst. Ob der Mann bedroht und eingeschüchtert worden ist, bleibt offen. Seine stereotype Antwort auf alle Fragen lautet: "Momo war es." Und die Männer auf der Anklagebank? Der Zeuge wagt kaum, in die Richtung seiner angeblichen Peiniger zu sehen. "Drei von ihnen waren mit im Fernsehraum, aber außer Momo hat mir keiner etwas getan." Das Opfer kann sich auch nicht an Stockhiebe erinnern. "Der Mann ist ein armes Schwein", konstatiert Richterin Peschke und sagt damit nichts Neues. Fortsetzung am Dienstag.

Michael Brunner

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