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Berlin: Gefangene klagen über mangelnde ärztliche Versorgung

Todesfall in der Haftanstalt Tegel Justiz weist Vorwürfe zurück: Betreuung reicht aus

Einen Tag nach dem Tod eines Strafgefangenen in der Haftanstalt Tegel erhoben Mitgefangene gestern schwere Vorwürfe gegen die Justiz. Der extrem übergewichtige Mann – er soll 250 Kilo gewogen haben – hatte am Vortag einem Wärter gesagt, es gehe ihm nicht gut. Dennoch habe kein Arzt nach dem Mann gesehen. Dabei müsse der Leitung bekannt gewesen sein, dass der Häftling schwer übergewichtig war und zudem Drogen konsumiert haben soll. Justizsprecherin Juliane Baer-Henney wies den Vorwurf mangelnder medizinischer Betreuung in Tegel zurück. Diese sei „völlig ausreichend“. Eine Obduktion soll die Todesursache klären.

Der Verstorbene Lutz N. war erst seit zwei Monaten in Tegel. Die Tat, wegen der er zu 13 Jahren Haft verurteilt worden war, liegt jedoch schon acht Jahre zurück. Spektakulär war sie nicht nur wegen der ungeheuren Brutalität der Täter, sondern auch durch das zögernde Verhalten der Polizei. Lutz N. hatte im Juni 1998 mit einem jüngeren Komplizen die Wirtin der Kneipe „Droschkenkutscher“ fast zu Tode getreten, während vor der Tür 17 Polizisten warteten und es nicht wagten, einzuschreiten. Die Polizisten am Tatort seien ein „Chaotenhaufen“ gewesen und hätten sich „in geradezu grotesker Weise ungeschickt verhalten“, hatte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung gegen Lutz N. gesagt. Gegen die Polizisten folgte ein mehrjähriges juristisches Hin und Her, erst 2002 wurde der damalige Einsatzleiter wegen „Untätigkeit“ zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Lutz N. war nach dem Urteil zunächst wegen seiner psychischen Erkrankung in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden (Maßregelvollzug), erst nach Heilung sollte er die 13-jährige Haft antreten. Wie Gefangene sagten, soll N. in der Psychiatrie sein Körpergewicht verdoppelt haben. In Tegel soll er seine Fünf-Quadratmeter-Zelle nie verlassen und sich nicht bewegt haben. Die Justiz bestätigte, dass Lutz N. „stark übergewichtig“ war. „Wenn Ratschläge nicht befolgt werden, können wir nicht viel machen“, hieß es. Auf Weisung des Anstaltsarztes würde die Gefängnisküche auch fettarme oder füdiabetikergeeignete Mahlzeiten kochen.

Den Vorwurf mangelnder medizinischer Betreuung erheben Tegeler Gefangene seit langem. So hat einer der an der Gefangenenmeuterei vom Dezember 2005 Beteiligten später in seiner Vernehmung erklärt: „Werde selbst bei Schmerzen durch Bedienstete nicht ernst genommen.“ So steht es in der „Anhörungsniederschrift“ der JVA, die dem Tagesspiegel vorliegt. Anfang Dezember hatten sich, wie berichtet, 29 Gefangene nach dem Hofgang geweigert, in die Zellen zurückzukehren. Erst nach einer Stunde war es den Wärtern gelungen, die Situation zu entschärfen. Der von der Justiz als „Rädelsführer“ eingestufte Rainer S. hatte danach fast ein halbes Jahr zur Strafe unter besonderen Sicherungsmaßnahmen („Isolationshaft“) gesessen. Von 2001 bis 2005 hatte es nach Justizangaben 29 Todesfälle in Gefängnissen gegeben, meist durch Herzversagen, sowie 29 Suizide. Allein in der Untersuchungshaftanstalt Moabit gab es, wie gestern berichtet, in diesem Jahr bereits sechs Selbstmorde.

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