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Auf dem Tempelhofer Feld fanden viele Geflüchtete eine erste Unterkunft in Berlin.

© aus Field Trip

Geflohen aus Afghanistan: Gelandet in Tempelhof

Für viele ist das Tempelhofer Feld kein Freizeitort, sondern ihr erstes Zuhause in Berlin. Vom Ankommen auf einem Flughafen.

Dieser Artikel ist ein Teil der Serie Field Trip zum Tempelhofer Feld. Noch mehr Geschichten von Menschen, deren Leben mit diesem Ort verbunden ist gibt es in Form von kurzen Dokumentarfilmen auf der Webseite fieldtrip.tagesspiegel.de.

Wenigstens kleben die drei kleinen Kinder mit ihren Gesichtern am Fenster und beobachten neugierig die Szenerie. Sie sind das einzige Zeichen von Leben in der Kleinsiedlung. 800 Menschen wohnen hier, aber alles wirkt wie ausgestorben. Mohamad Khodro geht an den Häusern entlang, zum Spielplatz, wo Rutschen und Klettergerüste stehen, und daneben, auf dem Sportplatz, zwei Basketballkörbe aufgestellt sind. Es ist 11 Uhr, die Bewohner des Tempohomes auf dem Tempelhofer Feld sind entweder in der Schule, im Deutschkurs oder sonst irgendwo.

Auf jeden Fall ist es ruhig, Khodro kann das nur recht sein. Dann hat er Ruhe. Niemand will sich über irgendetwas beschweren, das heißt, niemand kommt in sein Büro, ganz am Ende eines langgezogenen Containers.

Vom Flüchtling zum Helfer

Mohamed Khodro arbeitet inzwischen im Beschwerdemanagement der Tempo Homes auf dem Tempelhofer Feld.
Mohamed Khodro arbeitet inzwischen im Beschwerdemanagement der Tempo Homes auf dem Tempelhofer Feld.

© Mike Wolff

Der 36-jährige Syrer arbeitet seit Juli 2017 im Beschwerde-Management von Tamaja, dem Träger, der die Flüchtlingsunterkünfte auf dem ehemaligen Flughafengelände betreut. Vor allem aber ist er aufgestiegen – vom Flüchtling, der 2015 noch in einer der kleinen Boxen in den Hangars gelebt hat, mit Doppelstockbetten und Menschen, die er nicht kannte, zum Mitarbeiter, der anderen hilft, ihre Sorgen und Nöte anhört und seit einem Jahr in der Nähe des Alexanderplatzes eine eigene Wohnung hat. Die fand er allerdings erst nach 150 erfolglosen Bewerbungen.

Khodro kam nach Deutschland, weil er in Syrien nicht zum Militärdienst eingezogen werden wollte. Seinen regulären Dienst in der Armee hatte er längst absolviert, die Männer, die nach Ausbruch des Bürgerkriegs eingezogen wurden, mussten gegen die eigene, regimekritische Bevölkerung kämpfen. Eine Schreckensvorstellung für Khodro. In Syrien hatte er ein Modegeschäft und wohnte in einem Haus am Meer.

Qualvolle Enge

In Berlin lebte er einen Alltag in der qualvollen Enge der Hangarbehausungen, zwischen provisorisch aufgestellten Wänden. Die Qualität des arabischen Essens, die Enge, unter der alle litten – Probleme waren programmiert. Khodro agierte in der Zeit im Auftrag der Flüchtlinge als eine Art Vermittler zwischen Tamaja und den Bewohnern. Irgendwann im September 2016, erzählt Khodro in bemerkenswert gutem Deutsch, habe ihn der Geschäftsführer gefragt, ob er Lust habe, für den Träger zu arbeiten, im Qualitätsmanagement. Gesucht wurde jemand, der nahe bei den Flüchtlingen ist, um ihre Nöte und Sorgen besser verstehen zu können. Khodro sagte zu. Ein knappes Jahr später wechselte er ins Beschwerdemanagement.

Es ist offenbar ein ziemlich ruhiger Job, nicht bloß an diesem Vormittag, an dem Khodro durch die Tempohomes schlendert. „Den meisten Familien gefällt es hier“, sagt er. Kein Wunder, sie vergleichen die Tempohomes mit den Boxen in den Hangars. Jedes Tempohome hat Dusche und Bad und zwei Zimmer. In jedem Zimmern schlafen jeweils zwei Personen. Sollte eine Familie zusätzlichen Platz wegen der Kinder benötigen, erhält sie in einem anderen Tempohome ein weiteres Zimmer.

Wie es war, in den Hangars zu leben

Farzad H. ist aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Seine erste Unterkunft in Berlin waren die Hangars des ehemaligen Flughafen Tempelhof. Im Video sieht man, wie es dort aussah. Und er erzählt von seiner ersten Zeit dort. Video: Field Trip, Produktion: ronjafilm.

Das Ende der Flüchtlingsunterkünfte auf dem Feld

Probleme entstehen vor allem, wenn zwei alleinstehende Männer in einem Zimmer untergebracht sind. Wenn sie sich nicht kennen, gilt das Prinzip Hoffnung: Hoffentlich kommen sie miteinander klar. Wenn nicht, gehen sie zu Khodro. Der sorgt dann für einen alternativen Platz in einem Tempohome. „Wir versuchen, Leute gleicher Nationalität zusammenzulegen“, sagt der Syrer. „Manchmal können aber Wünsche nicht sofort erfüllt werden. Dann erkläre ich das in aller Ruhe.“

Ansonsten gehe es eher um Kleinigkeiten, etwa eine Tür, die nicht ordentlich schließt. Gut, die Hitze im vergangenen Jahr, die war ein Problem. „Ich komme aus einem warmen Land“, sagt Khodro, „ich kenne Hitze. Aber zu Hause hatten wir eine Klimaanlage.“ Hitze müssen sie in den Übergangswohnungen nun nicht mehr aushalten: In Kürze ziehen alle Bewohner in neue Gemeinschaftsunterkünfte. Das Tempohome wird aufgelöst. Vergangene Woche wurde ein großes Abschiedsfest gefeiert, mit Musik, Essen und Abschiedstränen. „Es war sehr schön“, sagt Khodro. Er bleibt bei Tamaja, in einer anderen Unterkunft, zuständig für Nöte und Beschwerden.

Dies ist eine von zahlreichen Geschichten von Menschen, deren Leben mit dem Tempelhofer Feld verbunden sind. Das Dokumentarfilm-Projekt Field Trip von Ronjafilm sammelt diese Geschichten auf einer interaktiven Webseite, die wir anlässlich des 70. Jahrestages des Endes der Berlin-Blockade veröffentlichen. Sie können auf der Webseite alle bisher verfügbaren Geschichten anschauen: fieldtrip.tagesspiegel.de

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