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Berlin: Gefräßiger Staub

Immer mehr alte Kirchenorgeln in der Region sind von Schimmel befallen – Ursache ist falsches Heizen.

Berlin/Potsdam - „Eigentlich dürfte man die Orgel gar nicht mehr betreten“, sagt Norbert Gembatzka. Der Sachverständige des katholischen Erzbistums Berlin steht in der Corpus-Christi-Kirche Prenzlauer Berg vor der hölzernen Rarität und redet Klartext. „Das da ist gravierender Schimmelbefall.“ Die 1925 erbaute Steinmeyer-Orgel, ein repräsentatives Instrument, hat es voll erwischt. Kein Einzelfall in Berlins Kirchen: Erst sind es nur Pilzsporen, so groß wie Staubkörner, die sich auf den Instrumenten niederlassen. Dann wird der vermeintliche Staub immer dicker, bis sich eine weiße, filzartige Schicht auf Holz und Stoff bildet.

„Wir haben in den letzten Monaten etwa 20 Orgeln entdeckt, bei denen es zu Schimmelbildung gekommen ist“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer der Potsdamer Orgelbaufirma Alexander Schuke, Detlef Zscherpel. Das traditionsreiche Unternehmen beliefert Kunden auf der ganzen Welt; sogar in Taiwan, in der Ukraine und in Mexiko erklingen die Instrumente aus Potsdam. Und die Zahl der Fälle, in denen besorgte Kirchengemeinden bei den Orgelbauern anrufen und über Schimmelbildung an ihren Instrumenten klagen, steigt. Aus Potsdam, aus Mittenwalde, aus Pasewalk und Wolgast wurden in den letzten Monaten befallene Orgeln gemeldet. Auch die andere große Orgelbaufirma der Region, Wilhelm Sauer aus Frankfurt (Oder), berichtet davon. Die Instrumente sind trotzdem spielbar. „Aber wenn der Schimmelbefall massiv ist, kann das möglicherweise gesundheitsgefährdend sein – für den Organisten, aber auch für die Gemeinde, die sich am Sonntag zum Gottesdienst trifft“, sagt Gunter Kennel, Landeskirchenmusikdirektor der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Solche Fälle seien zum Glück selten. Das wichtigste Mittel, um den Sporen vorzubeugen, wäre, beim An- und Abheizen der Kirche keine Temperaturunterschiede von mehr als einem Grad pro Stunde entstehen zu lassen.

So sehen das auch die Orgelbauer. „In einer normal kühlen Kirche wird sich kein Schimmel bilden“, sagt Detlef Zscherpel. Aber gerade an den Weihnachtsfeiertagen würden die Kirchen für wenige Tage gemütlich warm gemacht, und die zahlreichen Besucher an den Feiertagen brächten mit Atem und Kleidung jede Menge Feuchtigkeit in den Raum – ideale Bedingungen für Schimmelbildung. Aus Mecklenburg-Vorpommern allerdings sind auch Fälle befallener Orgeln bekannt, deren Kirchen über gar keine Heizung verfügen. Der Direktor des dortigen Orgelmuseums, Friedrich Drese, hält auch den Klimawandel für eine mögliche Ursache. „Früher war es ja nicht so, dass wir kurz hintereinander erst Frost und dann zweistellige Plusgerade hatten.“

Deswegen blicken die kirchlichen Orgelexperten in diesen Tagen gespannt nach Südosten. Dort will die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland in den nächsten Jahren 260 000 Euro in ein Forschungsprojekt investieren, um den Ursachen und Auswirkungen des Orgelschimmels besser auf die Spur zu kommen. Derweil sucht die katholische Gemeinde für die Corpus-Christi-Kirche an der Konrad-Benkle-Straße selbst Wege zur Sanierung ihrer Orgel.

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