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Berlin: Gegen Sparpolitik – und gegen rechts

Tag des Protests: 80 000 beim DGB und Tausende bei sieben weiteren Aufzügen

Die einen versammelten sich dafür, die anderen protestierten dagegen: Kaum eine Ecke in der Stadt, in der gestern nicht eine größere oder kleinere Demonstration stattfand. Es gingen unter anderem Gewerkschafter und Eltern, Neonazis und Antifaschisten sowie Vertreter der arabischen Welt auf die Straße. 4000 Polizisten sicherten die Demos, davon 1150 aus dem Bundesgebiet. Wir haben uns in der Stadt umgesehen.

80 000 für soziale Politik

Die Veranstaltung am Brandenburger Tor wirkt wie eine Fanmeile des sozialen Aufbruchs: Eine Bühne auf dem Platz des 18. März, Bierstände wie bei der Fußball-WM, die Straße des 17. Juni voll Menschen mit knallroten DGB-Käppis und IGM-Flaggen. Die Moderatorin auf der Bühne spricht die Metaller-Gewerkschaft ganz international „Ei Dschi Äm“ aus, als handele es sich um eine neue Boygroup. Doch die IGM-Mitglieder gehören zu den knapp 80 000 Teilnehmern des bundesweiten Aktionstages der Gewerkschaften gegen die Reformpolitik der Bundesregierung. Eben lief oben auf der Bühne die Rocky Horror Picture Show, für die Leute unten ist die Sozialpolitik des Bundes der reine Horror. Wie für Marianne und Adolf Martin aus Alfeld, die morgens um fünf aufgestanden sind, mit dem Bus nach Berlin und nun am Tor stehen und abends um neun wieder Zuhause sein wollen. „Man muss endlich die Superreichen zur Kasse bitten, etwas gegen die Abwanderungen der Firmen tun, Arbeitsplätze schaffen und Kranke von Zuzahlungen für Medikamente befreien“, schreit das Paar unisono gegen den Lärm an. „Ich will euch hören“, ruft die Moderatorin oben, und unten trällern, tröten und flöten alle. Laut wird es auch bei der DGB-Kundgebung „Für eine soziale und gerecht Politik in Deutschland“.

8000 wollen, dass es anders geht

Unter Motto „Das geht nur ganz anders“ halten 8000 Demonstranten aus ganz Deutschland bereits am Roten Rathaus Plakate in die Höhe – um damit über Unter den Linden durch Mitte zu den Kollegen am Brandenburger Tor zu laufen. Ein Bündnis aus Berliner Initiativen, Parteien und Gewerkschaftsvertretern hat zu dem demonstrativen Protest gebeten. Wolfgang Keßler ist aus Hamburg gekommen und hält die Fahne der Gewerkschaft der Polizei GdP hoch. Er ermittelt sonst „im Tal der Gesetzlosen“, damit meint er die Reeperbahn – und beklagt, dass es zu lange dauere, bis jugendliche Straftäter bei Gericht „ zur Verantwortung gezogen werden“. Zudem müsse endlich das Personal bei neuen Delikten wie Kinderpornographie und Wirtschaftskriminalität im Internet verstärkt werden.

1000 gegen Kürzungen bei der Bildung

Gina ist mit ihrer Mutter Ute Groblewski auf den Gendarmenmarkt gekommen. Die Herbstsonne ist aber das einzige, was ihnen und den anderen Eltern und Lehrern vorm Marsch aufs Rote Rathaus gute Laune macht. „Wir brauchen wegen dauerkranker Lehrer mehr Personal“, sagt Frau Groblewski – auch, damit wieder Schul-AGs angeboten werden können. „Kinder an die Macht“ singt Grönemeyer aus den Boxen, und auf einem Transparent steht: „Wer an den Kindern spart, wird in Zukunft verarmen“.

1000 gegen die Haft eines Neonazis

Udo Voigt, der Vorsitzende der NPD, kündigt an: „Der Kampf um die Straße und der Kampf um die Parlamente gehören untrennbar zusammen“. Er sagt es auf einer Kundgebung in der Nähe der JVA Tegel, demonstriert wird für die Freilassung des inhaftierten Neonazi-Sängers Michael Regener. Später treten auf einer improvisierten Bühne die Musiker dreier Bands auf – das erste Nazi-Konzert in Berlin auf offener Straße. Nach dem derben Spektakel, bei dem die Texte kaum zu verstehen sind, nimmt die Polizei den Sänger von „Agitator“ fest. Er soll gegrölt haben, „ich bin froh, ein Nazi zu sein“. Die rechten Demonstranten murren, randalieren aber nicht. Zuvor haben sich bei einer linken Gegenkundgebung am U-Bahnhof Alt-Tegel 450 Demonstranten versammelt, mehr als erwartet. Der Zug setzt sich um 13 Uhr in Bewegung, es geht über den Borsigdamm bis zum U-Bahnhof Holzhauser Straße. Neben der Antifa Reinickendorf beteiligen sich die Jusos, die WASG und die Linkspartei/ PDS. Laut Polizei gibt es bei Rechten und Linken Festnahmen.

400 gegen Israel

Palästinenser und Araber ziehen vom Adenauerplatz zum KaDeWe, um gegen Israel zu demonstrieren. Es ist „Al-Quds- Tag“, also Jerusalem-Tag, den der iranische Revolutionsführer Khomeini 1979 eingeführt hatte, um Hass gegen Israel zu propagieren. Die Demo endet friedlich, Touristen bestaunen das Polizeiaufgebot. Zur Gegenkundgebung am Breitscheidplatz mit 150 Teilnehmern ist auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe, gekommen. fan, Ha, Hah, kög

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