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Berlin: Gegessen wird, was auf den Teller kommt

Die wichtigen Fragen der Grünen Woche sind die: Was gibt’s umsonst? Wie schmeckt Gänsemägengulasch? Und wo ist’s echt lecker? Hier sind die Antworten.

Ein uraltes Gerücht besagt, man könne sich auf der Grünen Woche gratis den Bauch vollschlagen, gern bis oben hin. Das Gerücht trifft zu. Wer sich im Gewühl immer hart rechts hält und über Stunden sämtliche Käsewürfel und Wurstscheiben einsammelt, die dort präpariert werden, der wird irgendwann satt sein, ganz sicher aber auch ziemlich genervt.

„Eselwürst!“ gurrt ein Franzose, eine einschlägig tätige Firma kredenzt Tütenbrühe aus der Thermoskanne und ein holländischer Koch betreibt Crossover: „Flammenkuchen aus dem Elsass zusammen mit die holländische Zutaten, das ist ein lecker Mischung.“ Aber sonst? Richtiges Essen kostet was, gerade auf einer Messe wie dieser – nicht übertrieben viel, aber auch nicht überraschend wenig.

Ein anderes Grüne-Woche-Gerücht besagt, es gebe dort ganz furchtbar exotische Sachen, die in Deutschland sonst unauffindbar seien. Dieses Gerücht trifft nicht zu. Seit Straußenfleisch beispielsweise in Brandenburg produziert wird, ist der Spielraum ziemlich klein geworden. Känguru vielleicht, oder Krokodil? Das gibt es. Nur: Wie soll der Kitzel des Exotischen aufkommen, wenn der Mann am Grill mit lauter Käsepaulstimme „Die Australja sind wieda da!“ brüllt? Das ungewöhnlichste Gericht der Woche ist vermutlich das Gänsemägengulasch bei den Polen. Es schmeckt ganz konventionell. Vorher ein Brot mit Lachskaviar und einen Wodka? Zwei Euro, bittesehr.

Und dann wäre da noch das Gerücht, auf der Grünen Woche seien Unmengen von berühmten TV-Köchen tätig. Es trifft überhaupt nicht zu. Die Gagen von gehobenen TV-Köchen überschreiten längst die Möglichkeiten eines einzelnen Bundeslandes, und so tauchen Köche (ohne TV) nur noch ganz vereinzelt auf, wenn sie ein wenig Reklame für ihren Betrieb machen dürfen. An diesem Tag ist Frank Prüß für Schleswig-Holstein im Einsatz, er ist Chef im Gasthof zum Dückerstieg in Neuendorf-Sachsenbande, und er hat Graue Erbsen mit Kassler und Kochwurst mitgebracht – schmeckt bieder und kostet vier Euro, außer für den ersten Vorkoster an der Bühne, der gratis dabei ist.

Nicht, dass biederer Geschmack schlimm wäre. Im Gegenteil: Der normale Besucher der Messe will augenscheinlich keine Experimente, sondern sich vergewissern, dass seine häusliche Umgebung intakt ist. Wäre das exorbitante Gedrängel in den Hallen von Sachsen-Anhalt und Brandenburg anders zu erklären als damit, dass dort eben die Besucher aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt in jenem spezifischen Heimatgefühl baden, das schon ein Bundesland weiter einfach verfliegt, trotz ähnlicher Würste, Biere und Fischbrötchen?

Nur bei Berlin klappt das komischerweise nicht. Es muss daran liegen, dass der Auftritt der Hauptstadt eher eine Kreuzung am Wege besetzt. Und ob wir hier nicht doch noch mehr zu bieten haben als türkische Antipasti, Döner, Senf und Eiscreme? Die Currywurst wird bei der Fleischerinnung im Becher (!) für zwei Euro rausgehauen, und gegenüber schnitzt „Executive Chef“ Mehmet Yalcinkaya inbrünstig an einer Wassermelone herum, die alsbald wie eine rote Blüte aussieht. Mehr Provinz war nie, deutlicher ist nie aufgefallen, dass Berlin auf der Berliner Grünen Woche nichts verloren und folglich auch nichts zu suchen hat. Selbst Niedersachsen hat eine größere Wurst, es handelt sich um eine „VW Currywurst“ für 3,50.

Lassen wir nun aber all die Sonderangebote – vier Kilo Weichkäse für zehn Euro, drei Straußenwürste für elffuffzig -, lassen wir auch den Wacken-Kaffee „aus dem Full Metal Village“ links liegen, den rumänischen Wein („ein Glas ein Euro, bittä“) und auch das Natur-Pflaumenmus, das uns feinsinnig als „funktionelles Lebensmittel“ vorgestellt wird. Selbst „Draculas Frühstück“ mag nicht recht begeistern, denn es handelt sich um einen ziemlich blutleeren Spieß mit Weißbrot, Käse und Essiggurken. Schauen wir nach dem guten Essen!

Doch, ja, damit sieht es gar nicht soo schlecht aus. Schweizer Käse, Schweizer Schoki, das ist ja schon mal was. Dort, wo ein paar Importeure mit Massen von Austern das schöne Land Frankreich zu imitieren versuchen, gibt es ein Bistro, in dem ein „Halber Hummer mit Sauce“ für 19 Euro angeboten wird, Ungarn schickt in seinem Restaurant wagemutig eine geröstete Gänseleber mit Quitte, Milchbrot und Tokaiergelee für 15 Euro ins Rennen, und Norwegen geht gleich mit einer zweistöckigen Futterstätte auf die Besucher los, an der echte norwegische Köche echt norwegisch kochen, sogar ziemlich modern, was auf dieser Veranstaltung als absolute Ausnahme gelten darf; drei Gänge mit Forelle, Heilbutt oder Rentier und einem Preiselbeerdessert kosten 24 Euro.

Recht clever ist auch die norwegische Idee, überall am Stand kleine Häppchen für einen oder zwei Euro auszureichen. Der Elchburger mit Speck ist schön würzig, der Lachs in vielen Varianten ohne Tadel, und ein bisschen Sucherei fördert sogar ein Stück Heilbutt mit Kräutercreme auf Rote-Bete-Salat zutage, durchaus köstlich. Den Feinschmeckerpreis der Grünen Woche 2012 nimmt also Norwegen mit, gefolgt von Ungarn und der währschaften Schweiz.

Ein leichter Sieg, zumal vieles, was von Weitem landsmannschaftliche Verwurzelung signalisiert, in Wirklichkeit nur schnöde Imitation ist. Was soll man von einer Berliner Wurstfirma halten, die ihren Stand rot-gelb-rot auf Spanisch stilisiert, nur weil sie auch Serranoschinken verkauft? Wie soll ein gepflegt ausländischer Schwips gelingen, wenn da überall nur Verkäufer lauern und Sätze sagen wie „Darf ich Sie für ein Glas Champagner begeistern?“

Und ist es nicht desillusionierend, wenn das indische Essen auf der weltgrößten Ernährungsmesse von einem Berliner Restaurant zusammengerührt wird?

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