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Berlin: Gehetzte Helden

„Silbermond“ ist die Pop-Entdeckung des Jahres, sie haben immer mehr Fans – doch noch kein richtiges Zuhause in Berlin

Wer nach dem Abi nach Berlin zieht, ist meist auf der Suche nach dem Glück. Weil es mit dem Finden eine Weile dauern kann, zieht man erst einmal in eine WG und überlegt, wie es weitergehen soll. Anders vier junge Menschen aus dem sächsischen Bautzen: Sie sind täglich unterwegs, um das Glück einzufangen. Als Band „Silbermond“ hetzen sie von Termin zu Termin: Konzerte, Interviews, Autogrammstunden. Alle wollen das deutsche Pop-Wunder des Jahres erleben, dessen Album auf Platz vier der Hitparade steht. „Verschwende Deine Zeit“ heißt es.

Wenn die vier Silbermond-Bandmitglieder nach einem langen Tag ausnahmsweise mal nach Hause kommen, schlafen sie in der 36-Quadratmeter-Wohnung von Sängerin Stefanie Kloß in Pankow. Die Jungs aus der Band finden einfach keine Wohnung. „Ein Makler hat uns erzählt, dass es für Vermieter nur eine schlimmere Konstellation gibt, als junge Musiker, die sich gerade selbstständig gemacht haben“, sagt Gitarrist Thomas Stolle. „Und das sind Leute, die gerade aus dem Knast entlassen wurden.“

Dabei dürfte die Band, die von Thomas’ Bruder Johannes am Bass und Schlagzeuger Andreas Nowak komplettiert wird, keine Schwierigkeiten haben, die Miete regelmäßig zu überweisen. Obendrein ist die Angst der Vermieter vor dauerprobenden Hausfriedensbrechern wohl unbegründet. Dafür ist der Terminkalender zu voll.

Keine Zeit also für die 19- bis 22-jährigen, die Berliner Szene zu erkunden. „Wir haben mal im Knaack-Club gespielt, waren in der Columbiahalle bei Konzerten und ein paar Mal in Kneipen“, zählt Thomas auf. Wirklich einleben konnten sie sich auch noch nicht. „Ich bin froh, wenn ich genau weiß, was in den nächsten fünf Tagen passiert“, sagt Sängerin Stefanie. „Ich habe aufgehört zu planen, vor allem bei kleinen Dingen.“

Der Weg in die Charts war für Silbermond eine Ochsentour, ganz altmodisch also. Ihren ersten Auftritt hatten sie auf einer Geburtstagsfete, beleuchtet von Teelichtern. „Wir haben dann auf jedem Dorffest gespielt“, erinnert sich Thomas an die vergangenen Jahre. Bei einem Termin in einem Tonstudio lernten die Band ihren jetzigen Manager kennen. Bald darauf liefen ihre Titel im Radio, Auftritte im Fernsehen folgten. Sat1 produzierte sogar eine achtteilige Dokumentation über den Aufstieg der Band.

Silbermond machen zwischen Rock und Pop pendelnde Musik mit deutschen Texten. Ihre erste große Tour wird deswegen sowohl von einem Heavy-Metal- als auch von zwei Teenie-Magazinen präsentiert. Wegen ihrer forschen Texte, der Frontfrau und der steilen Karriere werden Silbermond manchmal an „Wir sind Helden“ gemessen. „Die Leute brauchen halt Vergleiche“, kommentiert Stefanie achselzuckend. Nur auf einen Unterschied zu den Helden besteht sie: „Wir wollen keine Politik ins Spiel bringen.“ Die Bandmitglieder machen sich eher ganz alltägliche Gedanken zu der Welt, in der sie leben. Stefanie: „Es gibt tausende Shampoos für jeden Haartyp. Reichen da nicht auch vier?“ Auch über das Thema DDR denken die vier nicht viel nach, obwohl sie oft danach gefragt werden – nur weil sie aus Sachsen kommen. Schließlich sind sie im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen.

Die Rollen haben sich verkehrt. Jetzt schwärmen Teenager für Silbermond, zum Beispiel für Stefanies große grüne Augen und ihre dunkles Haar. Am liebsten steht sie, wie auf dem Cover ihres Albums, breitbeinig da, die Daumen in die Hosentaschen geschoben, und guckt herausfordernd. Aber auch weiblichen Fans bietet die Band genügend Projektionsfläche: den aufgekratzten Andreas mit dem Lockenkopf, den redegewandten Thomas und den zurückhaltenden Johannes, beide mit glattem Haar und Seitenscheitel. Alle selbstbewusst, gut aussehend und trotzdem wie von nebenan.

Silbermond profitieren vor allem vom aktuellen Imagewandel deutschsprachiger Rock- und Pop-Musik. „,Wir sind Helden‘ und andere Bands haben es geschafft, dass die Leute bei deutschen Texten wieder hinhören“, sagt Stefanie.

Auch wenn Silbermond manchmal erschöpft sind vom unregelmäßigen Schlaf, dem Leben aus dem Koffer und dem hohen Tempo, bei dem sie nicht wirklich mitkommen, beklagen sie sich nicht. „Man sollte genießen, was man gerade macht“, sagt Gitarrist Thomas, der den eigenen Erfolg auch als Ehre für die Band betrachtet.

Weil Silbermond wissen, wie schwierig und langwierig der Weg hinaus aus dem Probenraum ist, haben sie Schülerbands aufgerufen, ihnen Demoaufnahmen zu schicken. Die besten Gruppen werden bei ihrer Tour im Vorprogramm auf der Bühne stehen. Zu viel erwarten sollten die Bands aber besser nicht von dieser Möglichkeit, schränkt Thomas ein. „Unser Einfluss ist begrenzt. Wir stehen ja selbst noch ganz am Anfang.“

Und wie geht’s weiter? „Natürlich möchte ich vom Musikmachen leben können“, sagt Thomas, „aber nicht unbedingt mehr.“ Nicht das Anhäufen von Reichtümern stehe im Mittelpunkt, sondern die Lust an der Musik, „und die wird so schnell nicht vergehen“. Sie wissen, dass ihre Karriere morgen schon vorbei sein kann, lassen los und leben jetzt – zum Beispiel für den Moment, als sie im Vorprogramm der Puhdys zum ersten Mal vor 10000 Menschen standen: „Das sah so gigantisch aus.“ Thomas bringt ihr Leben auf den Punkt: „Rock’n’Roll ist schon dabei, aber in Maßen.“ Hoffentlich haben das möglichst viele Berliner Vermieter gehört.

Ab 15. September tourt Silbermond sechs Wochen durch Deutschland. Am 28. September tritt die Band in Berlin auf – um 20 Uhr im Magnet-Club in der Greifswalder Straße 212/213 (Prenzlauer Berg). Weitere Informationen: www.silbermond.de.

David Denk

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