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Das "Friedenauer Geisterhaus" in der Odenwald- Ecke Stubenrauchstraße 69 fällt langsam vor sich hin.

© Thilo Rückeis

Update

Geisterhaus in Friedenau: Berliner Gericht sieht auch bei Altfällen kein Recht auf Leerstand

Das Zweckentfremdungsverbot gilt auch für Wohnungen, die schon vor 2014 leer standen, so das Gericht. Nun muss die Eigentümerin die Wohnungen renovieren.

Seit mehr als zehn Jahren steht der einst prächtige Altbau an der Odenwald-/Ecke Stubenrauchstraße leer. Seitdem bröckelt das "Friedenauer Geisterhaus" vor sich hin. Wegen seiner blumigen Jugendstilornamente haben Anwohner ihm den Namen "Flora" gegeben. Am Mittwoch beschäftigte der Fall auch das Berliner Verwaltungsgericht. Dieses wies eine Klage der Eigentümerin ab. Sie muss auch die Prozesskosten tragen, der Streitwert wurde auf 90.000 Euro festgelegt.

Leerstand gilt als Zweckentfremdung

Die Eigentümerin hatte gegen den Bezirk Tempelhof-Schöneberg geklagt. Dieser hatte sie aufgefordert, die 16 Wohnungen auf ihre Kosten so herzurichten, dass sie wieder bewohnt werden können. Der Bezirk berief sich dabei auf das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Seit Mai 2014 gilt Leerstand als Zweckentfremdung, die nicht gestattet ist. Das Gesetz soll vor allem verhindern, dass reguläre Mietwohnungen zu Ferienwohnungen umgewandelt werden.

Der Anwalt der Eigentümerin, Oliver Ganseforth, hatte erstens argumentiert, das Zweckentfremdungsgesetz sei in diesem Fall nicht anwendbar: Das Haus hatte schon leer gestanden, bevor es in Kraft getreten war. Zweitens sei das Haus derart verfallen, dass eine Instandsetzung der Eigentümerin wirtschaftlich nicht zuzumuten sei. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg, gegen den die Eigentümerin geklagt hatte, hielt dagegen: „Das Liegen- und Verfallenlassen einer Immobilie ist illegal“, sagte der Bezirksvertreter vor Gericht. Das Instandhalten gehöre zu den Pflichten eines Wohnungs-Eigentümers.

Zweckentfremdungsgesetz schützt auch länger leerstehende Wohnungen

In der Urteilsbegründung wies das Verwaltungsgericht die Argumente der Eigentümerin zurück: „Das Zweckentfremdungsverbot schützt auch solche Wohnungen vor Leerstand, die bereits vor dem Gesetz leer standen.“

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Auch sei die Forderung, die Wohnungen wieder bewohnbar zu machen, nicht unzumutbar. Maßnahmen sind laut Gesetz zumutbar, wenn die Eigentümerin die Kosten innerhalb von 10 Jahren durch Vermietung wieder reinbekommen kann. „Die Klägerin trägt hier die Darlegungslast“, sagte die Kammer. Die Eigentümerin hatte keine Zahlen zu notwendigen Maßnahmen vorlegen können.

Keine Schätzung der Instandsetzungskosten vorgelegt

Schon in der Verhandlung hatte das Gericht darauf hingewiesen, man wisse nicht, was an dem Haus gemacht werden müsste und wie teuer dies sei. „Seit 2015“ sei die Eigentümerin wiederholt gebeten worden, konkrete Zahlen vorzulegen. „Es kam nie was“, sagte die Richterin während der Verhandlung.

Am Ende der Verhandlung beantragte der Anwalt der Eigentümerin ein Sachverständigen-Gutachten, in dem das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg die notwendigen Instandhaltungskosten ermitteln solle. Der Anwalt der Klägerin sagte, auch das Einholen von Gutachten sei seiner Mandantin finanziell nicht zuzumuten. Das Gericht wies den Antrag ab. Bis zuletzt blieb somit unklar, ob die Bausubstanz marode ist und wie gravierend die Mängel sind.

Formal wies das Gericht die Klage ab, weil die Eigentümerin nicht rechtzeitig Widerspruch dagegen eingelegt habe, als das Bezirksamt sie aufforderte, die Wohnungen bewohnbar zu machen.

Die Eigentümerin war nicht selbst zum Gerichtstermin erschienen. Ihr Anwalt verließ das Gericht nach der Verhandlung, noch bevor das Urteil gesprochen wurde.

Anwohnerinitiative nach Urteil erfreut

Auf den Zuschauerplätzen im Verwaltungsgericht saßen neben Vertretern der Bezirksverwaltung und Journalisten am Mittwoch auch etwa zehn Mitglieder einer Anwohnerinitiative, die sich für die Instandsetzung des Hauses einsetzt. Sie gibt es seit dreieinhalb Jahren. Von den etwa 30 Mitgliedern seien 15 regelmäßig aktiv. Nachdem das Urteil verkündet wurde, umarmten sich Mitglieder auf dem Flur vor dem Gerichtssaal.

Eine von ihnen ist Ingrid Schipper. Über das Urteil freut sie sich. Die Initiative wünscht sich ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt in dem Haus, aber vor allem gehe es darum, das Haus wieder bewohnbar zu machen. Jetzt hoffe sie, dass ein Treuhänder eingesetzt werde, sagt aber auch, es sei dahin noch ein langer Weg.

Nachbarin beschwert sich über Geisterhaus

„Das Haus gehört der Eigentümerin seit Anfang der 1970er und verfällt immer weiter“, sagt Schippert. Die pensionierte Lehrerin wohnt in der Nähe des „Geisterhauses“. Sie berichtet, das Verhalten der Eigentümerin wirke unkoordiniert. Zwar stoße sie von Zeit zu Zeit kleinere Renovierungsmaßnahmen an, lasse zum Beispiel Flure streichen. Einmal habe sie Dienstleister beauftragt, im Haus zu fegen. An der Bausubstanz würde Ihres Wissens nichts gemacht. Von Bauarbeitern habe sie vor Ort gehört, dass diese nicht bezahlt worden seien.

Schippert kritisiert auch das Stadtentwicklungsamt des Bezirksamt. „Es handelt zu langsam“, sagt sie.

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