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Berlin: Geldmangel: Container für die Staatsanwälte - Keksdosen für die Zeugen

Keksdosen als Aschenbecher, verlotterte Toiletten, unrenovierte Gänge - äußere Zeichen für den Zustand des Gerichts. Mehr als 112 000 Verfahren hat die größte Justizmaschine Deutschlands im vorigen Jahr neu bearbeitet, knapp 60 000 Anklagen hat sie ausgestoßen.

Keksdosen als Aschenbecher, verlotterte Toiletten, unrenovierte Gänge - äußere Zeichen für den Zustand des Gerichts. Mehr als 112 000 Verfahren hat die größte Justizmaschine Deutschlands im vorigen Jahr neu bearbeitet, knapp 60 000 Anklagen hat sie ausgestoßen. Aber das Moabiter Strafgericht ächzt unter der Last, seine Bediensteten stöhnen, seine Nutzer klagen, und niemand weiß, wie dieser Riesenapparat auf Dauer vernünftig funktionieren soll. "Das Geld für einfachste Dinge fehlt", sagt Amtsgerichtspräsident Gerhard Offenberg. Die Moabiter Justiz scheint das Waisenkind unter den Staatsgewalten. Weil der größten europäischen Strafverfolgungsbehörde Raum fehlt, lagert sie Staatsanwälte in Container aus. Und weil ihr Geld fehlt, kann sie nicht einmal ihre Wände streichen lassen.

"Wenn sich die Personalsituation und die Raumsituation in absehbarer Zeit nicht ändern, wird jeder Politiker der Bevölkerung erklären müssen, warum die Strafverfolgung nicht so schnell und so gut funktioniert, wie der Gesetzgeber sich das vorgestellt hat", hat Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge schon vor zwei Jahren dem Tagesspiegel erklärt. "Ich brauche mehr Leute". Und: "Wenn Sie bestimmte Geschäftsstellen hier sehen, dann kommen Ihnen die Tränen." Seitdem hat sich an der Sparpolitik des Landes Berlins nichts geändert. Geld ist weiterhin nicht da.

Kaum noch regierbar

Die "Zeit" hat dem Moabiter Justiz-Monstrum vor eineinhalb Wochen eine lange Beschreibung gewidmet. Moabit sei zu groß, und eigentlich "kaum noch regierbar", wird Offenberg zitiert. Bei Karge hat sich gegenüber dem Tagesspiegel vor zwei Jahren nichts geändert: Er braucht neue Gebäude und er braucht mehr Personal, "alles andere ist Unfug". Mit anderen Worten, er braucht Geld. Das hat er nicht, und so wälzen sich zu hohe Papierberge über zu wenige Staatsanwälte. Bis zur Anklage dauert es manchmal ein Jahr, zwei bis zum Urteil. "Wenn Sie hier was ändern wollen, müssen Sie sprengen", sagte der Richter Peter Faust, stellvertretender Vorsitzender des Richterbundes, der "Zeit". Sprengen kann man aber nicht, denn dann säßen 1000 Richter, Staatsanwälte und Justizbedienstete auf der Straße.

Dabei haben sie es schon bisher nicht gemütlich. Der Berliner Strafverteidiger Gerhard Jungfer, der sich seit Jahren an den Moabiter Zuständen stört und reibt, hat dem Amtsgerichtspräsidenten gerade geschrieben, "dass sich unsere Mandanten regelmäßig beschweren, in welchem Zustand die Räume des Kriminalgerichts sind, beispielsweise dort, wo die Zeugen warten. Es gibt gelegentlich keine Aschenbecher, obwohl diese für geringes Geld zu erwerben wären (Versandhandel 1,48 DM das Stück), sondern es stehen Ölsardinendosen herum. Im Altbau befinden sich in vielen Toiletten seit Jahrzehnten keine Spiegel ... obwohl eine einfache Spiegelkachel für 10 DM zu erhalten ist."

Jungfer hat die behördlichen Zustände dann persifliert, indem er sie in eine Anwaltskanzlei verlegte. Man stelle sich also vor, schreibt er, man kommt zum Anwalt, wo aber nur zwischen 6 Uhr 30 und 13 Uhr Besuchszeit ist. Man wartet ewig und hat eine Ölsardinendose als Aschenbecher. Man geht auf die Toilette, dort ist kein Spiegel. Das Fax, das man dem Anwalt vor drei Tagen schickte, liegt ihm noch nicht vor. Von der Eingangsstelle bis zu seinem Schreibtisch, so erklärt der Anwalt das, vergehe eben so viel Zeit. Wenn man nachmittags anruft, ist zwar ein Anrufbeantworter dran, aber er nimmt keine Nachrichten entgegen.

Wie beim Alten Fritz

Die Ironie hat laut Jungfer ihren Hintergrund. Anwälte schicken Akten per Boten, weil es von der Posteingangsstelle zur Geschäftsstelle sonst zu lange dauere. Auch Faxe schleppen sich zu lange über die Flure von Moabit. Richter haben keine Anrufbeantworter. Anrufe seien häufig nur von 6.30 Uhr bis 13 Uhr möglich. Auch das hat seine Gründe. Justizangestellte, Urkundsbeamte und Wachtmeister beginnen viel früher mit der Arbeit als Richter und hören deshalb auch früher auf. Das habe die "beklagenswerten Folgen", schreibt Jungfer, "dass heute praktisch nach 15 Uhr keine Verhandlungen stattfinden", während vor 30 Jahren das ganze Kriminalgericht um 15 Uhr "ein Ort allseitiger emsiger Arbeit war".

So klagen also auch die Anwälte über Moabit. Jungfer ist es auch in einem längeren Kleinkrieg nicht gelungen, die Justiz dazu zu bewegen, bei der Aktenpaginierung auf den vorgeschriebenen blauen Stift zu verzichten. Der Farbstift kann bei blassem Blau und schwachem Aufdruck später zu Problemen beim Kopieren führen.

"Wir leben wirklich mit einer Organisation aus der Zeit des Alten Fritz, das ist keine Frage", hat Generalstaatsanwalt Karge dem Tagesspiegel vor zwei Jahren erklärt. "Wir sind da auch dran. Nur, wenn ich kein Geld kriege, kann ich keinen Computer kaufen."

Hans Toeppen

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