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Berlin: Gemälde-Diebstähle: Für Kunsthehler aus dem Osten gilt Berlin als erste Adresse

An den Wänden des kleinen Büros hängen Fahndungsplakate. Nicht die verwaschenen, grobkörnigen Porträts von Terroristen oder Schwerverbrechern.

An den Wänden des kleinen Büros hängen Fahndungsplakate. Nicht die verwaschenen, grobkörnigen Porträts von Terroristen oder Schwerverbrechern. Es handelt sich um gestochen scharfe Aufnahmen von Gemälden, Vasen und Skulpturen - oder kürzer: die "Meistgesuchten Kunstwerke Deutschlands". Sie machen den Glanz und das Elend der Kunstfahnder des Berliner Landeskriminalamtes deutlich. Der Glanz, das sind die vielen edlen Stücke, mit denen es die Beamten zu tun haben, das Elend, dass so wenige von ihnen wieder auftauchen. Nur vier der insgesamt 48 "Meistgesuchten" aus den letzten vier Jahren sind mit Bleistift abgehakt, sprich wiedergefunden. Manchmal gibt es selbst nach Jahrzehnten keine Erfolgsmeldung.

Wie bei dem Gemälde "Portrait of Francis Bacon" von Lucien Freud. Die millionenschwere Leihgabe der Londoner Tate Gallery war 1988 aus der Neuen Nationalgalerie in Berlin gestohlen worden. Seit wenigen Tagen fahndet die Tate-Gallery gemeinsam mit dem British Council auf eigene Faust nach ihrem Eigentum: mit einer groß angelegten Plakataktion und einer Belohnung von 300 000 Mark. In Berlin hängen die "Steckbriefe" seit Freitag.

Eigentlich ist die Erfolgsquote der Berliner Kunstfahnder gar nicht schlecht: Die Aufklärungsrate liege bei 40 Prozent, sagt Bärbel Groth, die Chefin des kleinen, feinen Kunstbereiches im Landeskriminalamt. Fünf Beamte jagen in Berlin gestohlenen Kunstwerken nach und decken Fälschungen auf. Nicht viel Personal, wenn man die Zahl der Delikte bedenkt - allein im letzten Jahr bearbeitete Groths Truppe 200 Ermittlungsverfahren mit einem Gesamtschaden von zehn Millionen Mark -, aber fast schon luxuriös, betrachtet man die anderen Landeskriminalämter. Denn neben Berlin gibt es in Deutschland nur noch in Stuttgart und in München einen eigens für Kunst zuständigen LKA-Bereich.

Gerade Berlin hat so eine Spezialtruppe auch bitter nötig. "Wir sind zwar noch keine Kunststadt, wie München, aber eine Drehscheibe für Kunsthehler", sagt Groth. Seit der Öffnung der Grenzen in Richtung Osten hat sich die Zahl der jährlichen Delikte verzehnfacht. Die fünf Beamten kommen da kaum hinterher. In der Asservatenkammer stapeln sich ständig beschlagnahmte Gemälde, teure Drucke und kostbarste Antiquitäten im Wert von mindestens fünf Millionen Mark.

Bei den Kunstschiebern aus den ehemaligen Ostblock-Ländern gilt Berlin mittlerweile als eine der ersten Adressen, wenn es um das "Verticken" von gestohlenen Gemälden, Skulpturen oder Antiquitäten geht. Hunderte Auktionshäuser, Antiquitäten- und Kunsthändler bieten die mehr oder weniger teure Ware feil. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage nach hochwertigen Anlageobjekten. "Wir haben jetzt eine Erbengeneration, da ist viel Geld flüssig", sagt Bärbel Groth. Teure und schöne Kunst ist gefragt.

Auch die Museen der Stadt führen mit unbezahlbar teuren Kunstwerken sachverständige Langfinger ständig in Versuchung. Kenner der Materie waren es auch, die 1989 zwei wertvolle Gemälde von Carl Spitzweg aus dem Schloss Charlottenburg klauten: "Der arme Poet" und "Der Liebesbrief". Der Fall ist kein Ruhmesblatt für die Berliner Ermittler. Bis auf den heutigen Tag sind die Gemälde verschollen. Groth und ihre Kollegen vermuten dahinter das Werk von Auftragsdieben. Im Dienste eines fanatischen Sammlers, der den "Poeten" unbedingt sein Eigen nennen wollte - auch wenn er sich niemals öffentlich mit seiner "Errungenschaft" brüsten dürfte. Das 1,8 Millionen Mark teure Stück ist so bekannt, dass der Sammler es nur im Keller genießen kann. Da kann er es anstarren, bei einem guten Glas Wein und einer teuren Zigarre - ein sehr einsames Kunstvergnügen.

Solche Fälle sind ebenso spektakulär, wie selten. Die meisten Delikte, die Groth und ihre Kollegen bearbeiten, sind bodenständiger. Häufig lassen Diebe, die in gut betuchte Haushalte einbrechen, alles, was irgendwie Geld verspricht, mitgehen: die teure Hifi-Anlage, Schmuck und das wertvolle Aquarell über dem Sofa. Kunstverstand besitzen die wenigsten. "Geld ist die einzige Triebkraft der Täter, nicht die Liebe zu einem Kunstobjekt." Und hier liegt auch die große Chance für die Ermittler: Irgendwann tauchen die meisten Kunstwerke wieder auf, denn sie sollen ja zu Geld gemacht werden.

Für die Aufklärung von Kunstdiebstähen braucht es also viel Geduld. Manches wird erst nach Jahrzehnten wieder angeboten. Und da der Kunstmarkt global ist, kann das irgendwo auf der Welt passieren. Vor Jahresfrist stellten deutsche Kunstfahnder Teile eines Kunstraubs aus dem Dresdner Museum für Stadtgeschichte sicher - 23 Jahre nach der Tat, in Norwegen. Ein Tipp aus der Szene brachte die sächsischen Ermittler auf die heiße Spur. Bei einem Kunsthändler in Oslo entdeckten sie den Großteil der damaligen Beute: 38 Schmuckstücke aus dem 16. bis 18. Jahrhundert.

Die meisten Täter versuchen, ihr Diebesgut über den Kunsthandel oder Auktionshäuser zu versilbern. Deshalb besteht eine der Hauptbeschäftigungen der fünf Berliner Beamten darin, die guten Beziehungen zu den Händlern der Stadt zu pflegen. "Ich kann da nicht in Schimanski-Gehabe reingehen", sagt Groth. Sicher weiß sie über Kunst mehr, als ihr draufhauender Fernsehkollege aus dem Ruhrpott. In ihrem Metier sind halsbrecherische Autojagden, Schlägereien oder andere Stuntman-Einlagen die Ausnahme. Kunstfahndung ist ein ausgesprochen filigranes Kunsthandwerk, dazu ist Diskretion und Fingerspitzengefühl nötig.

Auf Groths Schreibtisch stapeln sich die Einladungen der Berliner Kunst-High-Society. Die Kriminalhauptkommissarin besucht regelmäßig Vernissagen und Kunstauktionen. Sie ermittelt bei einem Häppchen und auch mal einem Gläschen Sekt, pflegt im lockeren Galeristen-Plausch ihr Image als kunstverständig. Denn da die Ermittler ständig mit hochintellektuellen Kunstexperten und Sammlern verkehren, müssen sie in Auftreten und Sprache mithalten können. "Sonst lassen die einen eiskalt stehen."

Mit solchen vertrauensbildenden Maßnahmen will die Polizei die Angstschwelle so niedrig wie möglich halten. Die Händler sollen ruhigen Gewissens anrufen, falls ihnen Stücke zweifelhafter Herkunft angeboten werden. Deshalb gehen die Beamten betont diskret vor, wenn sie die legale Herkunft von Kunstwerken vor den Auktionen überprüfen. Das Ansehen des Händlers darf keinen Schaden nehmen.

Bärbel Groth geht oft ins Museum, um ihr Auge zu schulen. Die Fahnderin liebt zum Beispiel die Lithografien von Horst Janssen, dem 1995 verstorbenen Hamburger Zeichner und Grafiker, und sie sammelt altes Porzellan. "Uns alle verbindet die Liebe zur Kunst", sagt sie über ihr Team - eine sehr "gemäßigte Liebe" allerdings. Sonst ginge ja die Objektivität verloren. "Man muss nicht alles schön finden, was so auf dem Schreibtisch zur Bearbeitung landet." Auch das Bürgerliche Gesetzbuch scheut sich, Kunst zu definieren. "Alles, was gefällt." Im Dienst muss Groth etwas genauer eingrenzen, um zu entscheiden, wann ihre Abteilung für einen Fall zuständig ist. "Ich nehme den Fall an, wenn klar wird, dass das Ziel des Täters auf die Kunst gerichtet ist."

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