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Berlin: Gemeine Volksvertreter

Wie die Parlamentarier miteinander umgehen

Der Aufpasser oben auf der Besuchertribüne wacht normalerweise darüber, dass Schülergruppen die Würde des Parlaments respektieren. Also nicht über die Brüstung fläzen oder herumblödeln, keinen Kaugummi kauen, nicht einschlafen und nicht klatschen. Beifall gibt’s nur von den Abgeordneten selbst. Früher war der Aufpasser Werkschutzleiter. Mit dem Minijob im Abgeordnetenhaus bessert er seine Rente auf. Hier sitzt er nun und macht sich Gedanken darüber, was im Plenum geredet wird. Und vor allem: Wie.

Bei der Haushaltsdebatte geht es traditionell ums große Ganze. Im Bundestag wie im Landesparlament ist sie der Anlass für die Regierung zum Eigenlob und für die Opposition zum Schlachtefest. Begonnen hatte der Tag um neun Uhr früh, als der SPD-Haushälter Ralf Wieland „den jetzt schon Anwesenden einen wunderschönen guten Morgen“ wünschte. Das war die Mehrheit, wobei tendenziell galt: Je linker, desto pünktlicher.

Während also die Linken schon die von ihrem Fraktionsvorstand spendierten Nikolausstiefel inspizierten, standen die Pro-Tempelhof-Schilder auf den Pulten der CDU noch ziemlich einsam da. Erst während SPD-Fraktionschef Michael Müller um kurz vor halb zehn seine Freude darüber ausdrückte, „dass wir gemeinsam die nächsten 14 Stunden verbringen werden“, füllten sich die Reihen. Sie blieben es auch, als CDU-Vormann Friedbert Pflüger in seiner Rede wieder die für ihn charakteristischen akustischen Rampen hochrobbte: Vom leisen Start aus immer lauter werden, um dann schreiend vom Gipfel abzuspringen. Und dann von unten mit dem nächsten Gedanken wieder hoch.

Damit begann jener Teil, den der Aufpasser weniger mag. Pflüger ist mit seiner beinahe chronischen Empörung ein beliebtes Mobbingopfer bei Rot-Rot. „Nicht wieder weinen!“, schallte es aus der Linksfraktion, kaum dass er das Rednerpult erreicht hatte. Als Bürger und Mensch findet der Aufpasser solche Sprüche deplatziert. „Manchmal habe ich das Gefühl, es gibt hier oben einen kleinen und da unten einen großen Kindergarten“, sagt der Mann.

Linksfraktionschefin Carola Bluhm ist eine sehr umgängliche Person, aber eine mäßige Redenvorleserin. Warum das Plenum während ihres Beitrags so friedlich bleibt, erschließt sich Besuchern erst, wenn sie sich verbotenerweise über die Brüstung beugen: Von 37 CDUlern sind 9 übrig, die FDP ist von 13 auf 4 Mann zusammengeschnurrt. Die Absentierten sind teils im Casino zu finden, teils stehen sie in der Wandelhalle zusammen. Diese dient offiziell dem „Studieren, Speisen und Diskutieren“. In dieser Aufzählung fehlt das Kokettieren, denn in der Wandelhalle stehen auch Gesichtspuder und Fernsehkameras bereit.

In frühen DDR-Zeiten wurden im damals ausgeweideten Plenarsaal Schießübungen mit Kleinkalibergewehren veranstaltet. An diese Tradition knüpft FDP-Chef Martin Lindner gern an – zwar nur rhetorisch, aber dafür großkalibrig. Heute im Angebot: Wowereit habe „die Gesinnung eines Renaissance-Papstes“ und die PDS „im Bespitzeln der Bürger eine lange Tradition“.

Still – und voll – wird es erst wieder, als der Chef spricht. Als sich Klaus Wowereit beim Thema Tempelhof so in Rage geredet hat, dass ihm die Formulierung „mit dem Klammerbeutel gepudert“ nicht mehr unfallfrei über die Lippen kommen will, sind die Lacher eher freundlich als hämisch. So viel Respekt ist vorhanden.

Der Aufpasser hört aufmerksam zu. Er findet wichtig, was im Parlament geredet wird: Es könnte ja auch ihn betreffen, dem die Rente nach 47 Arbeitsjahren nicht zum Leben reicht. Stefan Jacobs

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