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Nachdem der Bezirk die Bäume der Traubenkirsche fällte, legten die Anwohner selbst Hand an.

© privat

Gemeinsame Sache 2014: Bankett auf dem Bürgersteig

Sie pflanzen Bäume und organisieren gemeinsame Feste. Seit mehr als zehn Jahren engagieren sich Anwohner für das Gleimviertel in Prenzlauer Berg – auch gegen Widerstände der Ämter.

Vor einem Jahr drehte sich auf der Kopenhagener Straße im Gleimviertel ein Wildschwein am Spieß, Trockeneis dampfte aus Kelchen, ein Baumischer rührte riesige Mengen Frozen Mojito, eine Nachbarin schnitt für Cocktails ganze Eisblöcke mit einer Kettensäge. Der Grund: Jedes Jahr im September verwandeln Anwohner die Straße bei der Aktion „Nachbars Braten“ in ein großes Bankett. Seit 2007 hat das hier Tradition – und am 6. September ist es wieder so weit.

Die Aktion ist exemplarisch für die Stimmung im Kiez, meint Heiner Funken: „Wir haben hier eine sehr engagierte Nachbarschaft, die viele Aktionen auf die Beine stellt“, sagt er und schlendert den Bürgersteig entlang, auf dem die Hausgemeinschaften bald ihre Tische aufbauen werden. Dauernd grüßen ihn Passanten, man kennt sich hier. Funken, 57 Jahre, von Beruf Bauleiter, engagiert sich im Kiez für verschiedene Initiativen.

Im Gleimviertel, diesem sozialen Äquator zwischen Wedding und Helmholtzkiez, hat er dazu beigetragen, dass nun auf den Baumscheiben Grünzeug wuchert, dass die Bäume weiter Schatten spenden und dass kein Lkw durchs Viertel rumpelt.

Das alles hätte anders kommen können: Im Jahr 2003 sollten die Korsörer Straße und die Kopenhagener Straße für eine neue Aldi-Filiale für den Verkehr geöffnet werden, die Pläne hätten den ruhigen Kiez zur Durchfahrtszone gemacht. Doch in der Nachbarschaft regte sich Widerstand, gemeinsam erreichten sie den Stopp der Pläne. Der Aldi-Markt kam, doch die Straßen blieben verkehrsberuhigt. „Da haben wir gemerkt, wie viel man gemeinsam bewegen kann.“ Seitdem mischt die Nachbarschaft sich immer wieder ein.

Gemeinsame Widerständigkeit schweißt den Kiez zusammen

Zum Beispiel 2007: Da begann der Bezirk Pankow, die Bäume der Traubenkirsche im Kiez wegen angeblicher Wurzelfäule zu fällen. Die Anwohner ließen ein Gutachten erstellen. Das zeigte, dass längst nicht alle Bäume krank waren. Als trotzdem ein gesunder Baum gefällt wurde, legten sie ihn dem Bezirksbürgermeister Matthias Köhne demonstrativ auf den Schreibtisch. Dann pflanzten sie selbst neue Bäume – „und zwar pro Baum um 750 Euro günstiger, als der Bezirk das gekonnt hätte“, sagt Funken. Bürgerschaftliches Engagement sieht er als Chance, gemeinsam mehr Selbstbestimmung zu erlangen: „Wenn vor unserer Haustür ein Baum vertrocknet, übernehmen wir gerne dafür Verantwortung. Dafür fordern wir, dass man uns Freiräume gibt.“

Doch zwischen ihnen und den Bezirksämtern gibt es immer wieder Streit darum, was sie als Bürger selbst entscheiden dürfen und was nicht – wie zuletzt, als der Bezirk sie aufforderte, die Baumscheibenbepflanzung auf der Kopenhagener Straße zu entfernen. Als Reaktion pflanzten die Nachbarn noch mehr Sonnenblumen und Geranien. Doch Funken und seine Mitstreiter sind durchaus auch zum Dialog bereit. Weil es Beschwerden gab, ist etwa die Aktion „Nachbars Braten“ seit zwei Jahren eine offiziell angemeldete Veranstaltung, dafür zahlen sie jährlich 200 Euro Gebühr.

Die gemeinsame Widerständigkeit schweißt den Kiez zusammen. Und das, findet Funken, ist nicht nur gut, um Baumscheiben und Traubenkirschen zu retten. „Auch im Gleimviertel werden immer mehr Leute durch Aufwertungsprozesse verdrängt“, sagt er und zeigt auf Haus Nr. 46 auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dessen Bewohner ersannen einst „Nachbars Braten“, bald müssen viele von ihnen wegen Modernisierungsmaßnahmen und Mietsteigerungen ausziehen. „Auch gegen diese Prozesse hilft der Zusammenhalt im Kiez“, meint Funken.

Am Aktionstag am 13. 9. wollen sich die Aktivisten vom Gleimviertel weiter vernetzen und von 10 bis 16 Uhr gemeinsam die Baumscheiben verschönern. Freiwillige sind willkommen. Treffpunkt: Kopenhagener Straße 41

Mitmachen und Mitfeiern

Erst werden an den Aktionstagen die Ärmel aufgekrempelt und die Stadt schön gemacht – und eine Woche später wird gefeiert. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin und der Tagesspiegel laden alle Helfer am Freitag, dem 19. September zur Danke-Party in das Verlagsgebäude am Askanischen Platz 3 am Anhalter Bahnhof. Ab 17 Uhr sind alle Aktiven herzlich willkommen: Im Erdgeschoss gibt es ein Kulturprogramm mit Theater und Musik, dazu gibt es Getränke und Snacks. Begrüßt werden unsere Gäste von der Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, Hella Dunger-

Löper, der Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Barbara John, und der Tagesspiegel-Chefredaktion. Das Haus ist behindertengerecht. Der Eintritt ist frei. Wenn Sie mitfeiern wollen, schreiben Sie uns: sauberesache@tagesspiegel.de

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