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Spielerisch zum Artisten werden. Der Zirkus "Cabuwazi" lädt Kinder und Jugendliche ein, mitzumachen.

© Dong-Ha

Gemeinsame Sache in Berlin: Unter der Zirkuskuppel ist die Freiheit grenzenlos

Kinder brauchen Orte zur freien und kreativen Entfaltung. Solche finden sie an den fünf Standorten des Kinderzirkus Cabuwazi.

Im Herzen von Marzahn, dort, wo die grauen Plattenbausiedlungen sind, steht eine Oase aus bunten Zirkuszelten. Hier, bei Cabuwazi, dem „chaotisch bunten Wanderzirkus“, kommen täglich Hunderte Kinder und Jugendliche zusammen, um sich als Clown, am Trapez, im Jonglieren oder in einer der anderen zahlreichen Zirkuskünste zu üben. Jährlich sind es an insgesamt fünf Berliner Standorten etwa 10 000 junge Teilnehmer, womit Cabuwazi zu den größten Kinder- und Jugendzirkussen in Europa zählt.

„Im Zirkus darf man frei sein, das ist wie ein Pippi-Langstrumpf-Land“, sagt der Leiter des Marzahner Standortes, Fabian Gröger, der schon seit 1992 beim Zirkus ist. Marzahn-Hellersdorf sei in weiten Teilen ein „anregungsarmes Milieu“, da sei sein Jugendzirkus so etwas wie „ein bunter Tupfer inmitten von Plattenbauten“. Tatsächlich gibt es im Bezirk deutliche soziale Unterschiede, die sich geografisch an einem Nord-Süd-Gefälle festmachen lassen. In den Großsiedlungen der Ortsteile Hellersdorf und Marzahn im Norden ist der Anteil von Kindern, die in sozial benachteiligten Verhältnissen aufwachsen, besonders hoch. Insbesondere für sie ist Cabuwazi eine willkommene Beschäftigung und Ablenkung vom rauen Alltag.

„So viele Freizeitangebote für Kinder gibt es hier nicht“, sagt Gröger. „Speziell für Kinder ab neun Jahren entsteht an den Nachmittagen eine Lücke.“ In zahlreichen und kostenfreien Nachmittagskursen können sich alle Kinder ab neun Jahren in verschiedensten artistischen Disziplinen üben und ganz nach persönlichen Neigungen beschäftigen. Zudem veranstaltet der Zirkus Ferienkurse und Schulprojekte. Sogar für die ganz Kleinen von vier bis neun Jahren gibt es die sogenannten Cabuwinzig-Gruppen. Geleitet werden die Kurse von professionellen Artisten und Sozialpädagogen. Zu Weihnachten veranstaltet Cabuwazi Shows im Wintergarten-Varieté in Schöneberg und natürlich auf dem Platz.

„Ich wollte immer Clown werden“

„Für die Kinder aus Marzahn ist das natürlich toll, denn die wenigsten kommen mal aus dem Bezirk raus. Mit einem Zirkus bewegt man sich aber viel und für unsere Veranstaltungen müssen sie dann durch die ganze Stadt fahren oder wir machen Reisen. Dadurch sehen die Kinder andere Lebensumfelder, beschäftigen sich damit und bringen ihre Erlebnisse mit nach Hause“, sagt Fabian Gröger. Seine Geschichte steht stellvertretend für Cabuwazi, zu dem die Kinder immer wieder kommen, selbst wenn sie schon lange keine mehr sind.

„Ich wollte immer Clown werden“, sagt er. Mit zehn wurde der gebürtige Marzahner über eine Zeitungsannonce auf den Zirkus aufmerksam. Bei seiner ersten Weihnachtsvorstellung durfte er direkt den Clown machen und entwickelte sich in den Folgejahren zum festen Mitglied des Zirkus. „Das war mein Hobby, wie andere Fußball spielen. Hier hatte ich meine Freunde, hier hat man seine Freizeit verbracht.

Der Zirkus mit all seinen Freiheiten ist einen super Ort, an dem man sich kreativ und körperlich ausleben kann.“ Mit einer Akrobatikgruppe nahm er häufiger an Festivals in ganz Deutschland und sogar in Paris teil, machte seinen Zivildienst beim Zirkus, arbeitete später ehrenamtlich dort und wurde nach einem Studium der Theaterregie Leiter des Standortes.

Ort der Integration

„Fabians Geschichte ist typisch für Cabuwazi“, sagt Karl Köckenberger, der Gründer des Zirkus, während er über das Zirkusgelände auf dem Feld des Flughafens Tempelhof schreitet. „Viele, die als Kinder zu uns gekommen sind, sind heute noch als Artisten dabei, oder als Eltern, die nun ihre Kinder hierherbringen.“ Ein gutes Beispiel sei auch Max, der als Junge beim Zirkus angefangen habe und ihn nun verlässt, um professioneller Artist zu werden. Köckenberger sieht dem jungen Mann zu, wie er an einem großen Gestell zusammen mit Janis, dem Parkourläufer, Bewegungsabfolgen übt. Neben Janis steht eine Dolmetscherin, denn der junge Mann mit muskulösem Körper ist taubstumm. „Zirkus braucht keine Sprache“, sagt Karl Köckenberger lächelnd. „Wir sind inklusiv für jeden und damit meine ich auch für alle Kulturen.“

Der Zirkus Cabuwazi hat dementsprechend sein Engagement aufgestellt. Insbesondere am Standort Tempelhof, dem sogenannten Integrations-Standort, wird viel mit geflüchteten Kindern gearbeitet. Diese kamen bislang überwiegend aus den Tempohomes, dem größten Flüchtlingscontainerdorf Berlins, das auf dem Tempelhofer Feld direkt an den Zirkus Cabuwazi angrenzt, nun aber abgebaut werden soll. Auch für den Zirkus stellt sich die Frage, ob man an diesem Standort bleiben kann. Bislang war er an die Flüchtlingsunterkunft gekoppelt. Der mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten geschlossene Vertrag läuft aber Ende 2019 aus.

Ein neuer Vertrag soll nun mit dem landeseigenen Unternehmen „Grün Berlin“ geschlossen werden. Relevant ist dabei die Frage, ob es sich bei den Zirkuszelten um sogenannte „fliegende Bauten“ handelt, wie es das Gesetzt zum Erhalt des Tempelhofer Feldes vorschreibt.

Köckenberger ist optimistisch, dass es den Standort weiterhin geben wird. „Als Ort der Integration passen wir perfekt zum Tempelhofer Feld.“ Unabhängig von der Flüchtlingsunterkunft wird das Angebot von Jugendlichen und Kindern aus der Umgebung stark nachgefragt.

Kunst und Frieden

Doch nicht nur in Tempelhof, sondern in allen Erstaufnahmeeinrichtungen, Not- und Gemeinschaftsunterkünften ist der Zirkus seit 2015 im Rahmen seines Projekts „Cabuwazi Beyond Borders“ unterwegs, um Kindern, die ihr Zuhause verloren haben, einen sicheren Ort zur freien und kreativen Entfaltung zu bieten. „Wenn man jongliert oder auf dem Trampolin Akrobatik macht, vergisst man alles“, sagt Köckenberger. Er ist der festen Überzeugung: „Dort, wo Kinder spielen können, gibt es keinen Krieg.“ Aus diesem Grund macht Cabuwazi auch verstärkt Reisen ins Ausland, in der Vergangenheit zum Beispiel nach Israel, nach Äthiopien oder an die türkische Grenze zu Syrien, um vor Ort Friedensarbeit zu leisten.

Er erzählt davon, wie im Rahmen eines Projektes ein Israeli und ein Palästinenser in Berlin aufeinandertrafen, um gemeinsam am Zirkus zu trainieren. „Am Ende musste jeder wieder in seine Heimat und es war klar, dass sie sich dort nicht wiedersehen konnten, obwohl sie das sehr gerne wollten.“ So organisierten die beiden schließlich eine internationale Clown-Akademie in Berlin und schufen so einen Ort, an dem nicht Politik im Vordergrund stand, sondern die Kunst und der Frieden.

Mit ein paar Einrädern, die Köckenberger 1992 seinen Kindern und dann den Nachbarskindern schenkte, begann die lange Geschichte des Zirkus Cabuwazi. Ob in Tempelhof für geflüchtete Kinder, in Marzahn für die Kinder aus den Plattenbausiedlungen oder an einem der anderen Standorte in Kreuzberg, Treptow und Altglienicke: Immer geht es darum, sichere Kreationsorte für Kinder zu schaffen, Oasen, an denen sie sich entfalten und über jegliche Art von Grenze hinaus zusammenkommen können.

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