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Im früheren Rathaus von Friedenau sind derzeit 200 Frauen und Kinder untergebracht. Vom 1.11. an soll hier ein neuer Betreiber arbeiten.

© Thilo Rückeis

Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge in Berlin: Suche nach neuem Betreiber

Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten kündigt einem Betreiber, gegen dessen Mitarbeiter ermittelt wird. Doch wer soll nun die Unterkünfte betreiben?

Natürlich, es gibt ganz sicher behaglichere Orte zum Wohnen als das frühere Rathaus Friedenau. Aber immerhin, in dem Bau an der Niedstraße ist Platz für hunderte Betten. 200 sind derzeit von Frauen und Kindern belegt, sie bilden die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Doch die Zahl der Bewohner wird bald auf 400 erhöht, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat deshalb im Frühjahr mit einer Ausschreibung Betreiber gesucht. Und für die Gemeinschaftsunterkünfte in den Leonorengärten in Lankwitz und in der Chris-Gueffroy-Straße in Treptow-Köpenick gleich mit. Die sind allerdings noch nicht bezogen.

Das LAF sammelte die Bewerbungen, es waren sehr viele, und die Mitarbeiter sichteten dabei auch die Unterlagen des Vereins „Zukunftsorientierte Förderung“, kurz: „ZOF“, mit Zentrale in Duisburg. Sie wussten nun, wie viele Sozialarbeiter ZOF aufbot, wie viele Sicherheitsleute, wie die Kinderbetreuung aussehen sollte, vor allem aber sahen sie, dass ZOF finanziell sehr gute Angebote für die drei Unterkünfte vorlegte. Beim LAF wussten sie einiges über ZOF. Allerdings fehlten in den Unterlagen zwei interessante Punkte.

Erstens: Der ZOF-Geschäftsführer saß seit 14. März in Untersuchungshaft, zweitens: Gegen zehn weitere aktuelle und ehemalige Vereinsangehörige sowie Angehörige des Geschäftsführers ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenfalls, Vorwurf: Beihilfe zur Untreue.

Deniz A. soll rund zwei Millionen Euro Vereinsgelder für private Zwecke verwendet haben

Gegen Deniz A., den Geschäftsführer, hatte das Amtsgericht Duisburg Haftbefehl wegen Untreue erlassen. Der 36-Jährige soll rund zwei Millionen Euro Vereinsgelder für private Zwecke verwendet haben. Im Kölner „Express“ ist die Rede von Schmuck, Urlaubsreisen, Leihwagen und einer feudalen Eigentumswohnung. Am 17. Juli hatte der triste Alltag in der Zelle für Deniz A. ein Ende. An diesem Tag, teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg dem Tagesspiegel mit, wurde er freigelassen. U-Haft war nicht mehr nötig. „Der Beschuldigte hatte sich zuvor überwiegend geständig eingelassen“, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Duisburg. Doch die operative Führung bleibt in der Familie. ZOF-Geschäftsführer ist jetzt Deniz A.s Bruder.

Dem wurde gerade mitgeteilt, dass die Geschäftsbeziehung mit dem LAF beendet ist. Zwangsweise. Am Montag hat die Behörde „den mit dem Betreiber ZOF e.V. geschlossenen Vertrag zum Betrieb der Unterkunft Niedstraße fristlos gekündigt“, teilt LAF-Sprecherin Monika Hebbinghaus mit. „Grund sind umfangreiche Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden gegen Beschäftigte des Betreibers und Angehörige des Vereins, die seine Eignung und Glaubwürdigkeit als Betreiber infrage stellen. Außerdem wurden entgegen der ursprünglichen Auskunft des Vereins Abgaben nicht vollständig entrichtet, sodass Rückstände in Millionenhöhe bestehen.“ Und natürlich darf ZOF auch die Unterkünfte in den Leonorengärten und der Chris-Gueffroy-Straße nicht betreiben.

Dem LAF lagen frühzeitig Hinweise aus der Betreiber-Szene vor

Aber die Kündigung hat eine Vorgeschichte. Am 10. September entschied sich das LAF intern für ZOF als Betreiber der Niedstraße. Die Behördenmitarbeiter hatten obligatorisch das Korruptionsregister geprüft, ob dort ZOF auftaucht, zudem hatte der Verein wohl als eine von mehreren Referenzen die Bewertung einer Kommune aus dem Ruhrgebiet geliefert. Zu diesem Zeitpunkt hatte das LAF aber auch schon Hinweise aus der Betreiber-Szene auf die U-Haft von Deniz A. Also schickte das LAF einen Fragenkatalog an den Verein. Was ist los bei Euch? Welche Maßnahmen habt ihr ergriffen?, so lautete zusammengefasst der Tenor.

Die Antworten klangen erstmal durchaus zufriedenstellend. „Die gelieferten Informationen gaben zunächst keinen Anlass und keine rechtliche Handhabe, dem Bieter den Zuschlag zu verweigern“, sagt Hebbinghaus. Das war durchaus verständlich. Denn ZOF hatte dummerweise vergessen mitzuteilen, dass die Staatsanwaltschaft nicht bloß gegen Deniz A. ermittelte, sondern gleich gegen zehn weitere Beschuldigte noch dazu.

Deshalb erhielt ZOF am 24. September den rechtsverbindlichen Zuschlag für die Niedstraße. Für den Verein aus Duisburg sprach vor allem der finanzielle Aspekt. ZOF hatte den günstigsten Preis genannt. Die reinen Kosten sind zwar nicht allein ausschlaggebend für eine Zusage, aber sie spielen bei der Entscheidung eine erhebliche Rolle.

Wer betreibt die Gemeinschaftsunterkunft in der Niedstraße in Zukunft?

Doch das Misstrauen war gesät, der Name ZOF löste weitere Recherchen aus. Einerseits lieferten Konkurrenten des Duisburger Vereins nach Informationen des Tagesspiegel weiterhin Hinweise auf ZOF. Andererseits kamen interessante Fakten aus einer anderen Richtung: „Wenige Tage später wurden dem LAF aus Senatsquellen zahlreiche weitergehende Unterlagen zur Verfügung gestellt, die darauf hindeuteten, dass die im Raum stehenden Vorwürfe gegen den ZOF e.V. deutlich substantiierter sind als dem LAF bislang bekannt“, sagt Monika Hebbinghaus. Also folgte der nächste Fragenkatalog, diesmal noch detaillierter, Fristende für die Antworten: 10. Oktober.

Denn schon am 1. November sollte der Betreiberwechsel in der Niedstraße stattfinden, die Zeit wurde also allmählich knapp für das LAF. Die Antworten kamen fristgerecht, die Experten des LAF analysierten sie und waren höchst unzufrieden. Denn auch diesmal entsprachen die Angaben wohl nicht umfassend der Wahrheit. „Im Ergebnis wurde die Kündigung ausgesprochen“, sagt Monika Hebbinghaus.

Die schlichte, aber entscheidende Frage lautet nun: Wer betreibt die Gemeinschaftsunterkunft in der Niedstraße in Zukunft? Dem bisherigen Betreiber wurde ja fristgerecht gekündigt. Möglicherweise haben dessen Mitarbeiter längst andere Verträge unterschrieben. „Wir werden jetzt Gespräche mit dem bisherigen Betreiber führen“, sagt Sascha Langenbach, ebenfalls LAF-Sprecher. In den Fällen Leonorengärten und Chris-Gueffroy-Straße verschafft sich das LAF dagegen erstmal Zeit. Eigentlich sollte die Entscheidung über den jeweiligen Betreiber zum 1. November fallen. Jetzt ist die Frist auf Mitte November verlängert worden.

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