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Peter Unsicker vor seiner Galerie.

© Susan Djahangard

Gentrifizierung in Berlin-Mitte: Die Wall Street Gallery soll weichen

Früher stand vor der Wall Street Gallery in der Berliner Zimmerstraße die Mauer, jetzt soll Bildhauer Peter Unsicker raus aus seinen Räumen.

Anfang September flatterte der Schreck in Peter Unsickers Briefkasten: Ein Anwalt erklärte ihm im Namen seines Vermieters die Kündigung. Der Vermieter erhebt Anspruch auf Eigenbedarf, in neun Monaten soll Unsicker raus aus den Räumen in der Zimmerstraße in der Nähe des Checkpoint Charlie. Dort betreibt der Bildhauer seit 30 Jahren die Wall Street Gallery. „Die Kündigung hat uns aus allen Wolken geholt“, sagt der 70-Jährige, das sei „dermaßen frech“.

"Die zahlen Wuchermieten"

In der Mitte seiner Galerie sitzt Unsicker, der auch als zehn Jahre jünger durchgehen könnte, in einem gepolsterten Sesselund trinkt Kräutertee aus einer blau-weißen Schale. Die schulterlangen grauen Haare hat er im Nacken zusammengebunden, über seinem Hemd trägt er eine lockere Strickjacke mit Zackenmuster, weiter eine rosafarbene Stoffhose und beige Espadrilles.

Für ihn ist die Sache mit der Kündigung klar: „Der Vermieter will mich raushaben und die Galerie als Gewerberaum teuer vermieten.“ Die Räume nebenan, eine Bar, gehörten demselben Besitzer. „Die zahlen Wuchermieten“, sagt Unsicker. Er spricht ruhig und sanft, auch als er sagt: „Der Eigentümer ist vielleicht kein Immobilienhai, aber ein Piranha.“

Als die Mauer noch stand, hat sich Peter Unsicker auch daran künstlerisch ausgetobt.
Als die Mauer noch stand, hat sich Peter Unsicker auch daran künstlerisch ausgetobt.

© privat

Unsickers Mietvertrag ist 52 Jahre alt, im Februar 1964 hat ihn eine Freundin unterschrieben, Unsicker hat ihn später übernommen. Ein besonderer Mietvertrag, Unsicker hat eine „Wohnung nebst Teilgebewerbefläche“ gemietet. Auf 130 Quadratmetern wohnt, arbeitet und verkauft er hier gemeinsam mit seiner Frau. „Es ist keine Wohnung, es ist ein Atelier und Gewerberaum mit der Möglichkeit, zu übernachten und zu kochen“, sagt Unsicker.

Die Galerie ist sein Lebenswerk

Für ihn sei das Leben Arbeit, die Arbeit sein Leben, deshalb trenne er nicht zwischen privater Wohnung und Arbeitsort. Hier auszuziehen wäre für ihn eine Katastrophe, „es gibt keine Alternative für dieses Projekt“, sagt er. Die Galerie ist sein Lebenswerk.

Unsicker hat hier viel erlebt. Als er in die Räume einzog, stand vor dem Schaufenster die Mauer. Deshalb konnte er sein Atelier damals nicht von vorne betreten, sondern musste durch die Hintertür. „Einmal wollten mir die Vopos den Laden zunageln“, sagt Unsicker. Sonst habe er aber keine Schwierigkeiten mit den Volkspolizisten gehabt. Obwohl er sich auch an der Mauer als Künstler austobte: „Meine erste Installation war ein großes Wundpflaster, darunter habe ich eine Gipsmaske modelliert.“

An der Decke der Galerie leuchtet eine gemalte Sonne in Gold. Unsicker geht zu einem Regal in der Ecke und nimmt ein Buch heraus. Es dokumentiert die Geschichte seiner Wall Street Gallery, er hat es selbst gestaltet. Der Bildhauer schlägt eine Seite mit einem alten Schwarz-Weiß Foto auf: Aus der Perspektive des gegenüberliegenden Hauses sieht man die Mauer und dahinter seine Galerie. „Das Bild hat ein Bekannter von mir im Stasi-Archiv entdeckt“, sagt Unsicker.

"Das letzte Mauerbiotop"

Seit die Mauer weg ist, besuchen ihn auch viele Touristen. „Für viele ist meine Galerie interessanter als ein Museum“, sagt Unsicker. Mit Besuchern aus der ganzen Welt habe er spannende Gespräche geführt über die deutsche Geschichte, besonders mit vielen Israelis, die auf dem Weg zwischen Holocaust-Mahnmal und Jüdischem Museum vorbeilaufen. Unsicker bezeichnet seine Galerie als „das letzte Mauerbiotop“. Das zu erhalten, ist ihm auch deshalb wichtig, „weil wir in der heutigen Zeit in die Zukunft rasen und die Vergangenheit oft vergessen“.

In den vergangenen Jahren hat er Weltkugeln aus Massivholz und besondere Puzzles produziert. Er geht zu einem Holztisch am Fenster, auf dem bronzefarbene Teile liegen. Mit flinken Handgriffen steckt er sie zu einer Büste zusammen, ein Frauenkopf mit langen Haaren.

Fünf Tage nachdem die Kündigung in seinem Briefkasten gelegen hatte, setzte Unsicker eine „kurze Notiz des Widerspruchs“ auf. „Den Brief habe ich in die Kanzlei gebracht und dem Anwalt meines Vermieters in die Hand gedrückt.“ Er werde alles in Bewegung setzen, was möglich sei, damit die Galerie erhalten bleibt. Unsicker sagt: „Ich würde mich hier raustragen lassen.“

Für Häuser mit Eigentumswohnungen gilt eine Sperrfrist

So weit wird es dieses Mal nicht kommen: Das Haus besteht aus Eigentumswohnungen. Unsickers Vermieter hat die Galerieräume erst vor einem Jahr übernommen. Damit gilt für ihn eine Sperrfrist, innerhalb von zehn Jahren kann er keinen Anspruch auf Eigenbedarf anmelden. Dass der Vermieter es trotzdem mit einer Kündigung versucht, überrascht Frank Maciejewski vom Berliner Mieterverein nicht. „Eine Kündigung des Mieters ist heute wesentlich attraktiver als vor zehn Jahren“, sagt er, „jeder Wechsel führt zu einer Mieterhöhung.“

Der Rechtsanwalt von Unsickers Vermieter, Bilinç Isparta, ist von der Rechtmäßigkeit der Kündigung überzeugt. "Im Zweifel wird ein Gericht entscheiden", sagt er.

Unsicker wundert sich trotzdem, warum der Anwalt die Kündigung geschickt hat: „Vielleicht hat er sich eingebildet, ich würde Hals über Kopf die Räume verlassen.“ Er weiß aber auch: „Am Ende werde ich rausmüssen, das ist klar.“ Aber wann, das will er schon selbst entscheiden. Bis dahin versucht er „den Kommerz zu bremsen und zu verlangsamen“. Ändert sich an der gesetzlichen Lage nichts, bleiben ihm dafür noch neun Jahre.

In den vergangenen Jahren hat er besondere Puzzles produziert.
In den vergangenen Jahren hat er besondere Puzzles produziert.

© Susan Djahangard

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