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Kinder und Erzieherinnen aus dem Kreuzberger Kinderladen Girotondo.

© Mike Wolff

Gentrifizierung wie bei den Großen: Kitas in Kreuzberg werden verdrängt

Immer mehr Kitas in Berlin-Kreuzberg müssen aufgrund von Mieterhöhungen oder Eigentümerwechseln aus ihren Räumen raus. Der deutsch-italienische Kinderladen Girotondo will nicht kampflos aufgeben.

Bald ist Schluss mit Ringelreihen für Nathan, Elsa und die anderen Kinder aus der Kita Girotondo. Schluss mit Singen, Spielen und Toben jedenfalls in den vertrauten Räumen in der Kreuzberger Freiligrathstraße. Denn Girotondo – auf Deutsch: Ringelreihen – muss ausziehen. Der Mietvertrag wird nicht verlängert. Die Mütter und Väter, die die Kita als Elterninitiative organisieren, fühlen sich verdrängt. Die Vermutung: Was hier passiert, ist Gentrifizierung.

Die deutsch-italienische Kita mit 24 Kindern gibt es seit 2003. Bisher lief das mit der Miete unproblematisch. Der Vertrag für die Erdgeschosswohnung war auf ein paar Jahre befristet und wurde dann einfach verlängert. Bis zum vergangenen Sommer. Das Haus bekam einen neuen Eigentümer, den britische Immobilienfonds Phoenix Spree Property Fund. Schnell gab es das Gerücht, das Haus solle in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden. Die Befürchtung der Eltern: Ein Kinderladen störe da nur, sei vielleicht wertmindernd. Die Eltern baten um vorzeitige Vertragsverlängerung, sie wollten Sicherheit. Von der Hausverwaltung aber kam die Antwort, dass es keine Verlängerung mehr gebe. Im Sommer kommenden Jahres muss Girotondo raus. Was mit dem Haus geplant ist und warum es keine Vertragsverlängerung gab, dazu wollte sich die Hausverwaltung auf Tagesspiegel-Anfrage nicht äußern.

Kita-Betreiber boten sogar an, mehr Miete zu zahlen

Die Gegend zwischen Südstern und Landwehrkanal ist begehrt, ein Kreuzberger Traum. In den Straßen schlendert man an Antiquitäten-Trödel, Cafés, Secondhand-Läden und Weinhändlern vorbei, dazwischen gibt es viel Grün und Spielplätze. Exklusive Wohnungen sind hier entstanden, Lofts auf dem Steingasometer in der Fichtestraße, eine ganze Wohnanlage in Gebäuden, die früher zum Urban-Krankenhaus gehörten.

„Wir haben schon so viel versucht. Die italienische Botschaft und die Senatsverwaltung haben sich an den Vermieter gewandt. Wir haben sogar angeboten, mehr Miete zu zahlen. Erfolglos“, sagt Stefania Maffeis. Sie ist im Vorstand des Kinderladens, ihr kleiner Sohn hat noch drei Kitajahre vor sich – und wird den Umzug des Kinderladens mitbekommen. „Die Verunsicherung ist groß. Wir wissen nicht, wo und wie es weitergeht“, sagt Maffeis. Die meisten Familien von Girotondo legen Wert auf die zweisprachige Erziehung, die der Kinderladen anbietet. Ein vergleichbares Angebot gibt es nicht im Bezirk. Die Hausverwaltung habe ihnen ein Ersatzobjekt angeboten: eine Souterrain-Wohnung. Eine Kita im Keller. Die Eltern lehnten ab.

Girotondo ist nicht der einzige Kinderladen, der Schwierigkeiten mit dem Mietverhältnis hat. Der Kinderladen Klein und Stark musste nach 37 Jahren aus dem Wrangelkiez weichen. „Nach etlichen Verhandlungen, Demütigungen, Bangen um die Arbeits- und Betreuungsplätze mussten wir am Ende nachgeben“, sagt ein Erzieher. Sie fanden schließlich Räume in Friedrichshain, aber das bedeutete einen Neuanfang. Vielen Familien war der Weg zu weit. Inzwischen sei ein Kiosk in den ehemaligen Räumen. Eine Eisdiele habe bereits wieder zugemacht.

Kinderläden unterliegen nicht dem Mietspiegel

Beim Dachverband der Kinder- und Schülerläden weiß Roland Kern von 16 ähnlich gelagerten Fällen im Zeitraum eines knappen Jahres. „Es nimmt deutlich zu, konzentriert auf Gebiete, in denen die Gentrifizierung durchrollt“, sagt Kern. Manchmal werde der Vertrag nicht verlängert, manchmal die Miete ums Dreifache erhöht. Die Problematik hängt damit zusammen, dass die Räume dem Gewerbemietrecht unterliegen – und dafür gibt es wenig Regulierung, Verträge können relativ frei gestaltet werden, ein Mietspiegel greift nicht. „Von Kneipen kann man mehr Miete nehmen als von einem Kinderladen“, sagt Kern. Dabei hätten die Kitas auch Vorteile: Sie gehen selten pleite.

Räume für Kitas in Friedrichshain-Kreuzberg zu finden wird immer schwerer

In Friedrichshain- Kreuzberg ist das Problem bekannt. Es werde immer schwieriger, geeignete Räume für Kitas zu finden, heißt es aus dem Bezirksamt. Rund 1000 Kitaplätze fehlen im Bezirk.

In der Senatsjugendverwaltung weiß man von acht Kinderläden mit ähnlichen Problemen in ganz Berlin. „Die Kita-Aufsicht bemüht sich zusammen mit dem Bezirk, individuelle Lösungen zu finden“, sagt Sprecher Ilja Koschembar. Bisher sei das auch immer gelungen. Es werde beispielsweise geprüft, ob in landeseigenen Immobilien Räume frei sind.

Mit weitergehenden Forderungen, etwa nach Regulierung der Gewerbemieten, tut sich die Politik schwer. Das greife zu stark in die Privatwirtschaft ein, so der Tenor aus Behörden.

Politische Lösungen gefordert

Die Girotondo-Eltern wollen aber genau das: politische Lösungen. Vielleicht so etwas wie einen Bestandsschutz für soziale Einrichtungen: „Mit der Verdrängung selbstorganisierter Träger ist das soziale Gefüge in den Bezirken bedroht.“ Jetzt kümmern sie sich aber erst einmal um ihren eigenen Laden. Sie haben die Gegend um die Freiligrathstraße in 20 Zonen aufgeteilt. Jede Familie schaut in einer Zone, ob es dort Räume gibt. „Es ist viel Stress und zusätzliche Arbeit“, sagt Stefania Maffeis. „Aber der Kinderladen ist uns das wert.“

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