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Berlin: Genüsslich protestiert

Bewohner der Kastanienallee machen mobil. Sie kämpfen gegen „K 21“, die Umgestaltung der Straße Mieter und Geschäftsleute befürchten mehr Verkehr – und setzen auf ein Bürgerbegehren

Peaches, das ist unverkennbar, ist an diesem Abend auf Kampf eingestellt. In ihrer schwarzen Ledermontur und dem strahlenförmigen Augen-Make-up wirkt sie wie eine soeben gelandete Sternenkriegerin. „Ich bin hier, weil ich Berlin liebe. Weil ich die breiten Bürgersteige mag und die entspannte Atmosphäre“, sagt die kanadische Electroclash-Sängerin, bevor sie die Bühne auf der zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee gesperrten Kastanienallee betritt. Einige hundert Zuschauer jubeln. Vergessen haben sie den Regen.

Und vielleicht in diesem Moment auch, dass es an dem Aktionstag der Bürgerinitiative "Stoppt K21" eigentlich um den Protest gegen den geplanten Umbau der Kastanienallee geht, darum, die erforderlichen 8736 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen die Umbaupläne des Bezirks Pankow zu sammeln. Denn nun steht Merrill Beth Nisker alias Peaches auf der Bühne, ihr Lippenstift ist grün, die Brille blau und die Haare sind zurzeit blond. Sie spielt ihren Song „Footsteps“, den sie zu diesem Anlass geschrieben hat. „Ich möchte Schritte auf der Straße hören und keine Autos“, erklärt die 42-Jährige den Titel. Auch sie selbst brauche kein Auto in Berlin.

Autos sind am Sonnabend auf diesem Abschnitt der Kastanienallee tatsächlich keine zu sehen. Am Nachmittag, als die Sonne noch scheint, erinnert die Szenerie an ein sommerlich entspanntes Straßenfest: Rad- und Skateboardfahrer kreuzen in großen Bögen über den Asphalt, auf der Fahrbahn schlendern Menschen: Mit Kindern, verliebt Hand in Hand oder den Hund an der Leine. Auf der Bühne gibt es Musik, Karaoke und kurze Reden von Vertretern des Stadtbads Oderberger Straße, von „Media-Spree versenken!“ und der Bürgerwerkstatt „Mauerpark fertigstellen“. Vor dem Kunst-, Kultur- und Wohnprojekt Kastanienallee 77 haben die 30 Bewohner einen langen Holztisch auf der Straßenmitte aufgebaut, dort dampft ein großer Topf Nudeln. Mit Begeisterung teilt die sechsjährige Janna Spaghetti aus. „Wir möchten von jetzt an am liebsten immer auf der Straße essen“, sagt Florian. Seit fast 12 Jahren lebt er in dem einst besetzten Haus und wie alle hier ist er gegen den geplanten knapp zweijährigen und rund 1,5 Millionen teuren Umbau, der eine denkmalgetreue Erneuerung der Gehwege, die Anlegung von Parkhäfen zwischen den Baumscheiben und einen separaten Radweg vorsieht. Die Geschwindigkeitsgrenze soll weiter bei 50 Kilometer pro Stunde liegen. „Nicht nur werden die Bürgersteige schmaler und damit schlechter begehbar, auch der Verkehr wird durch die Fahrbahnerweiterung zunehmen und gefährlicher werden“, glaubt der 40-Jährige. Keineswegs sei man gegen eine behindertenfreundliche Sanierung der unebenen Trottoirs. Carola Grimm, die im Haus eine Keramikwerkstatt betreibt und seit 1992 hier lebt, fügt hinzu: „Es gibt meines Wissens von den Anwohnern und Gewerbetreibenden niemanden, der anders denkt.“

Tatsächlich hängen in den Fenstern fast jeden Cafés und Geschäfts – im Postershop und beim Friseur, in den Boutiquen und im 24-Stunden-Mini-Ökomarkt – und an mehreren Privatwohnungen Sympathiebekundungen mit der Initiative. Hoffnung schöpft deren Sprecher Matthias Aberle daraus, dass die im November begonnenen Bauarbeiten – allerdings wegen verkehrsbedingter Sicherheitsprobleme – vorläufig eingestellt sind. Sollten genug Unterschriften zusammen kommen, ebnet das den Weg für einen Bürgerentscheid, der aber nur den Charakter einer Empfehlung an den Bezirk hätte. „Wir werden immer weiter kämpfen“, sagt DJ Mira von der früheren Bar 25 vor ihrem Auftritt. Obwohl sie ja aus Kreuzberg kommt.

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