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Berlin: Geordneter Rückzug

Viele ältere Menschen vermachen ihren Erben viel zu viele Dinge, die sie mehr belasten, als glücklich machen. Wie man den Nachlass rechtzeitig regelt.

Räum endlich auf!" Das ist sicher einer der häufigsten Elternsätze. Für alt gewordene Eltern kann er zu einem Bumerang werden. Dieser Satz kommt dann Jahrzehnte später, mal voller Hoffnung, mal als stiller Vorwurf, von den längst erwachsenen Kindern zurück. Vielleicht sagt man ihn auch zu sich selbst. Nur geht es im fortgeschrittenen Alter nicht mehr darum, seine Legosteine in die richtige Kiste zu räumen – es geht um den ganzen Hausstand. Und im Prinzip um noch viel mehr.

Das Buch der Schwedin Margareta Magnusson „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“ beschäftigt sich genau mit diesem Thema. Sie nennt es „Döstädning“. Das ist Schwedisch, „Dö“ heißt Tod und „städning“ so viel wie Ausmisten. Es geht also um das Aufräumen vor dem Tod und ist nordisch pragmatisch gemeint.

Man könnte die Autorin verdächtigen, als eine Art Marie Kondo für Senioren am Erfolg der zahlreichen Aufräumbücher teilhaben zu wollen. Die Japanerin hat mit ihrem Buch „Magic Cleaning“ eine weltweite Bewegung losgetreten, die religiöse Züge trägt. Gerade hat Kondo ein Bilderbuch zum Thema herausgebracht, in dem die Eule Jax dem Eichhörnchen Kiki zeigt, warum Chaos im Kinderzimmer doof ist.

Aber Magnusson will gar nicht, dass man sich einen minimalistischen Lebensstil zulegt. Wenn sie aufräumt, tut sie das auch für andere, nämlich die, die sonst nach ihrem Tod ihren Nachlass ordnen müssten. Deshalb ist das Buch auch eine Einladung, mit den Angehörigen darüber zu sprechen, wie es sein wird, wenn man nicht mehr da ist. Das bedeutet, unter anderem über den Tod zu sprechen – und das fällt niemandem leicht.

Neumodisch ist das Ausmisten auch nicht, wie Magnusson feststellt: Es wird seit jeher meist von den Frauen still und leise bewerkstelligt, nach dem Tod der Männer. Das geschieht dann in der Regel nicht freiwillig, eher geht es darum, der Überforderung des Alters durch ein Zuviel von allem entgegenzutreten, oft mit der Hilfe der ganzen Familie.

Gerade die in den 60er Jahren geborenen Babyboomer machen genau das gerade durch, weil sie jetzt alte Eltern haben, die vielleicht um die 80 oder 90 sind. Lange gab es einen Konsens, was angeschafft werden musste – Fondue- und Racletteset, Küchenmaschine und das gute Tafelservice, alles für den Status. Darauf wurde teils jahrelang gespart. Heute werden kaum noch Tafelservices verkauft, denn es ist einfach nicht genug Platz für die Schrankwand, in der man das Service aufbewahren könnte. Wer in der Großstadt in einer Wohnung mit bescheidenen Ausmaßen wohnt, kennt den Ausspruch der Eltern auf Besuch: „Ihr habt ja gar keinen Platz für unsere schönen Möbel, Bücher, Bilder, Teppiche.“ Der schmale Biedermeierschrank passt vielleicht noch in den Flur, aber vor der wandfüllenden Anrichte, egal ob in Gelsenkirchener Barock oder von Interlübke, kapitulieren dann doch die meisten.

„Noch nie hatten wir alle so viel Krempel“, so nennt es Margareta Magnusson. Deshalb plädiert sie für die Haushaltsauflösung vor dem Tod. Dann kann man die Dinge, die man hat, auch noch selbst weggeben, verschenken oder verkaufen und muss keine Angst haben vor dem Container, den die Kinder nach dem Tod vors Haus stellen werden – so wie es viele Eltern fürchten.

Dabei geht es nicht um Gedanken- oder Herzlosigkeit, sondern schlicht um Überforderung. Das beschreibt auch Ursula Ott in ihrem Buch „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume". Die Bowlegarnitur mit 18 Bleikristallgläsern bringt sie mit ihrer Mutter in ein Spendenkaufhaus. Dabei stellten sie fest, dass genau diese Gläser schon dutzendfach dort stehen – auch das ist eine Erkenntnis. Die meisten industriell hergestellten Dinge existieren millionenfach und werden fast ausschließlich durch persönliche Erinnerungen zu Wertgegenständen.

Also setzt Ursula Ott große Hoffnungen in eine afghanische Flüchtlingsfamilie als Abnehmer von Polstermöbeln, Vitrine, Couchtisch, weil Geflüchtete eigentlich die Einzigen sind, die mit nichts hier angekommen sind. Aber selbst sie wollen und können nicht alles nehmen. Das Abschiednehmen von den Dingen und die Trauer um ein vergangenes Leben hat Ursula Ott gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester erlebt. Leicht war es nicht, das Elternhaus auszuräumen, wo sogar noch die alte Puppenstube vor sich hinstaubte. Sie haben sich ein Jahr Zeit genommen, bis die Mutter endgültig in eine altersgerechte Wohnung umzog.

Dass es schwer ist, über all das zu reden, bemerkt auch der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg, der sich auf Handels- und Gesellschaftsrecht, Immobilienrecht und Erbrecht spezialisiert hat, immer wieder. Bevor man einfach so ein Testament aufsetzt, sei es hilfreich zu kommunizieren. „Man muss zu Lebzeiten miteinander sprechen, die Interessenlage ist einfach zu unterschiedlich“, sagt der Anwalt. Und betont, dass in Deutschland der Letzte Wille sehr ernst genommen wird: „Da kann man eigentlich alles reinschreiben.“ Auch, dass der Erbe nur etwas bekommt, wenn er sich um die Sammlung antiker Waffen kümmert. Der Rechtsanwalt glaubt zu wissen, worum es da eigentlich geht: „Der Erblasser will in den Dingen weiterleben, die er vererbt. Da sollte man streng mit sich sein und sich fragen, wie viel Emotionales drinsteckt.“

Auch mit anderen Anforderungen an die Erben ist es so eine Sache. Wer möchte, dass seine wissenschaftliche Literatur an eine Stiftung übergeben wird, solle sich doch am besten gleich selbst darum kümmern und nicht den Nachwuchs damit belasten.

Und er sagt noch einmal mit Nachdruck, was auch Margareta Magnusson und Ursula Ott schreiben: „Reden Sie miteinander!“ Anders als die alte Dame, die in regelmäßigen Abständen in seine Kanzlei kommt, um in ihrem Testament neu festzulegen, wer was bekommt: der Nachbar die Vase, die Nichte die Anrichte – ohne dass die davon wissen oder nur einmal darüber gesprochen hätten.

Aber auch andersherum musste er schon Erben zurückpfeifen. Ein Sohn beklagte sich, dass sein Vater das Erbe auf Kreuzfahrten mit einer Begleiterin verpulvert, und bat den Anwalt, dem Einhalt zu gebieten. „Aber solange jemand lebt, gibt es kein Erbe. Mit seinem Geld kann jeder tun, was er will“, sagt Schellenberg.

Es geht darum, die richtige Balance zu finden. Zwischen der Mutter, die bei jedem Besuch der Tochter haarklein die Beerdigung durchsprechen will, bis zum Vater, der vor seinem Tod nicht über das reden will, was die Kinder erwartet.

Wenn man etwas möchte, muss man sich trauen, es anzusprechen, und dabei das Risiko eingehen, zu erfahren, dass die Wünsche der Kinder vielleicht andere sind, als man sich das vorgestellt hat, sagt Schellenberg. „Ein Satz wie: ,Das Haus habe ich für euch gebaut!’ kommt im Mantel des Altruismus daher, ist aber oft eine emotionale Fußfessel.“

Reden hilft auch, Streitigkeiten der Hinterbliebenen um eigentlich Wertloses zu vermeiden, denn die meisten Dinge, um die gestritten wird, sind gar keine Unikate. Viele Erbstreitigkeiten um Uhren, Geschirr oder alten Schmuck wären gelöst, wenn die Nachkommen die Gegenstände nur einmal googeln würden. Manchmal findet sich dann genau das gleiche Produkt für weniger als hundert Euro bei einem bekannten Internetshop. Deshalb sagt Schellenberg: „Eigentlich geht es nicht um die Dinge, sondern das Leben.“

Ursula Ott, „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume“, erschienen beim btb-Verlag (18 Euro, Hardcover). Margareta Magnusson, „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“, beim S.Fischer Verlag (18 Euro, Hardcover)

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