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Berlin: Geplatzte Träume von der Zukunftsstadt

Von Rainer W. During „Willkommen im Haveleck – Ihr Ankerplatz im Grünen“, verspricht die Werbetafel der Wasserstadt GmbH.

Von Rainer W. During

„Willkommen im Haveleck – Ihr Ankerplatz im Grünen“, verspricht die Werbetafel der Wasserstadt GmbH. Doch gut ein Jahr nach dem offiziellen Baubeginn auf dem ehemaligen Tanklagergelände stehen bisher nur wenige Einfamilienhäuser einsam in einer Sandwüste. Die mit großem Pomp eingeweihte Uferpromenade ist nur über Holzstege zu erreichen. Wer am Kölpinseeweg die Bewohner des grauen Dreierblocks besuchen will, muss über Bretter zu den noch klingellosen Türen balancieren, die Rückfront bedeckt ein Baugerüst mit Regenschutzplanen. Ein paar Schritte weiter steht das „Reihenhaus“ von Familie Marsche als einsame Großbaustelle nachbarlos auf der Wiese. Symptomatisch für die Misere der Berliner Entwicklungsgebiete, die den Landeshaushalt bis 2010 mit mehr als einer Milliarde Euro belasten werden.

Vier Familien waren vom Entwicklungsträger im März 2001 beim ersten Spatenstich präsentiert worden. Schon im Sommer sollte der Einzug erfolgen, erinnert sich Britta Marsche. „Damit der Traum Wirklichkeit werden kann, hat die Wasserstadt GmbH erfahrene Baubetreuer engagiert, die für einzelne Häuslebauer oder Bauherrengemeinschaften die Baudurchführung steuern“, wurde ihnen in einer Broschüre versprochen. Doch das Bauunternehmen ist längst pleite, von der Betreuungsfirma hat sich die Wasserstadt getrennt. Jetzt müssen die Familien in eigener Regie und viel teurer weiterbauen.

Es ist „unglücklich gelaufen“, räumt Wasserstadt-Geschäftsführerin Simone Raskob ein. Das Finanzielle sei eine Sache zwischen Ex-Betreuer und Häuslebauern. Inzwischen wurde von den Architekten eine neue Gesellschaft gegründet, die Kunden für weitere Häuser sucht. Raskob gibt sich optimistisch: „Die Vermarktungssituation hat sich im letzten halben Jahr deutlich verbessert.“

100 Meter weiter sind die Bewohner der ersten Reihenhäuser einer Bauträgergesellschaft trotz der langsamen Entwicklung des Areals zufrieden. „Das ist ein ganz anderes Umfeld, hier stimmt alles“, sagt Renate Alles, die seit 38 Jahren in Haselhorst lebt und im Februar das neue Heim bezogen hat. Fünf Häuser am Stolpseeweg sind bereits bewohnt, an vier weiteren verkünden Schilder: „Verkauft“. Am Ufer soll in den nächsten Wochen der Bau der ersten acht Terrassenhäuser beginnen; für eine nördlich des Quartiers geplante „Hafenmarina“ mit „Kapitänshäusern“, die über eigene Bootsstege verfügen, gebe es einen Optionsvertrag mit einem Investor, berichtet die Wasserstadt-Geschäftsführerin. Man setzt jetzt auf Käufer der mittleren bis oberen Gehaltsstufe.

Am anderen Ende der 46 Millionen Mark teuren Wasserstadtbrücke, im Quartier „Havelspitze“, soll demnächst der Bau eines Hochhauses beginnen. Dabei stehen selbst in den begehrtesten Wohnblocks mit Havelblick viele Wohnungen leer. „Hier ist immer noch tote Hose, es ist katastrophal“, sagt Peter Bienk, der seit drei Jahren mit dem „Kiez-Treff bei Heidi und Peter“ das einzige Lokal betreibt. Bisher hat er nur draufgezahlt, musste bereits seine zweite Kneipe in Tempelhof verkaufen. Die Fluktuation der Anwohner ist groß, bei vielen zahlt das Sozialamt die Miete. Die Hausverwaltung lehne eine Senkung der Gewerbemieten kategorisch ab, klagt der Gastwirt.

Nach einem vorübergehenden Aufschwung geht es seit 2001 bergab mit der „Havelspitze“, bestätigt auch Elias Rai, der ein Stück weiter den „Imbiss-Grill Wasserstadt“ betreibt. „Haben wir neue Stammgäste, ziehen sie nach drei oder sechs Monaten wieder weg.“ Nach seiner Schätzung steht rund ein Drittel der Wohnungen leer. „Jeder spielt mit dem Gedanken, wieder zu gehen“, schildert er die Situation der Gewerbetreibenden. Mehrere Geschäfte stehen vor der Schließung. Ariane Andres musste mit ihrem Kinderkleidungsgeschäft „Sabberlatz“ bereits im letzten Herbst aufgeben, weil sich die Versprechungen, mit denen die Ladenbesitzer angelockt wurden, nicht erfüllten. Doch der Vermieter beharrt auf dem Vertrag und fordert immer noch Miete von der Mutter einer schwerbehinderten Tochter.

Im einstigen Vorzeigequartier „Pulvermühle“ in Haselhorst schleppt eine junge Mutter mit ihren beiden Kindern prall gefüllte Tüten zur Haustür. Ein- bis zweimal pro Woche fährt sie zum Einkaufen. Wer hier ohne Auto lebt, hat ein Problem, der nächste Supermarkt ist einen guten Kilometer entfernt. Ein Bäcker, ein Zeitungsladen und ein türkisches Lebensmittelgeschäft bilden das gesamte Versorgungsangebot. Fünf Jahre nach dem Einzug der ersten Mieter steht noch immer rund ein Dutzend Läden zwischen Romy-Schneider-Straße und Lilli-Palmer-Promenade leer.

Viele Nachbarn sind schon weggezogen, wegen der hohen Mieten und der viel zu eng gebauten Häuser, von deren Balkonen man „dem Nachbarn auf den Teller“ blickt. Familie Märtin, 1997 als erste Mieter des Quartiers gefeiert, hat bereits zwei Jahre später wieder die Kurve gekratzt. Auch heute noch gibt es Siedlungsbereiche, die man abends besser meidet, berichtet eine Anwohnerin. Auf der Wiese der viel gepriesenen Grünanlage am Havelufer drehen Jugendliche Proberunden mit einem Moped, während einige Damen im Kiez-Treff des Gemeinwesenvereins Haselhorst Gymnastikübungen absolvieren. Hier und in einigen Jugendeinrichtungen ist man bemüht, den Anwohnern wenigstens etwas Abwechslung zu bieten.

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