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Im Schlosspark von Buch steht die 1736 gebaute Kirche - noch ohne Turm.

© dpa/Schlesinger

Berlin: Geradeaus geht’s zum Meer Stille Plätze und grenzenlose Weiden

Selbst Radler ohne große Kondition wagen die Tour. Das durchschnittliche Tagespensum: 56 Kilometer Hinterm nördlichen Berliner Stadtrand verwandeln Wildpferde die Rieselfelder in ein Erholungsgebiet.

Eine Aussicht auf einige schöne Tage an der Ostsee kann mitunter ungeahnte Kräfte mobilisieren. Der Beweis ist täglich auf dem Radweg zwischen Berlin und Usedom zu erleben, der mitten in der Großstadt beginnt und über die drei Kaiserbäder bis nach Peenemünde an der Nordspitze der Insel führt. Denn dort treten ganz normale Menschen anormal kräftig in die Pedale, obwohl an ihren Rädern oft mehrere Packtaschen und mitunter sogar Zelte hängen und auf den Rücken schwere Rucksäcke. Offenbar schafft auch, wer noch nicht die beste Kondition hat, die rund 350 Kilometer in fünf bis sieben Tagesetappen – manche entscheiden sich sogar für nur vier Abschnitte.

Damit liegen Berlin-Usedom-Radler exakt im deutschlandweiten Durchschnitt. Wie der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) in seiner jüngsten Analyse feststellt, legt der Durchschnittsradler auf einem Fernweg täglich 56 Kilometer zurück. Auch die wichtigsten Kriterien, die die Fahrradtouristen im vergangenen Jahr in einer Umfrage als besonders wichtig für ein schönes Erlebnis auf zwei Rädern vornan stellten, treffen auf die Tour nach Usedom zu: 50 Prozent wünschen sich demnach eine verkehrsarme Streckenführung, 41 Prozent halten eine gute Wegweisung für entscheidend, und für 38 Prozent müssen sich die Wege in einem sehr guten Zustand befinden. Erst danach rangieren eine gesicherte Unterstellmöglichkeit für Räder, die abwechslungsreiche Streckenführung, das zur Verfügung stehende Infomaterial und der Zustand der Rastplätze, die für 21 Prozent der Befragten eine hohe Priorität besitzen.

Ein Tipp unter Radfahrern: Zumindest auf dem ersten Streckenabschnitt können es Fahrradtouristen zwischen Berlin und der Ostsee ganz ruhig angehen und etwa 30 Kilometer sparen. Sie besteigen einfach im Berliner Zentrum die S-Bahn-Linie 2 und fahren ganz bequem bis zur Endstation Bernau. Der Radweg verläuft hier durchs Stadtzentrum und dann ein Stück an der mittelalterlichen Stadtmauer entlang weiter nach Biesenthal und von dort durch die südliche Schorfheide bis zum Werbellinsee. Dort wird meistens die erste Übernachtung gebucht, an die sich weitere Unterkünfte in Angermünde, Prenzlau, Pasewalk, Anklam und auf der Insel Usedom anschließen. Gute Stimmung? Die ist allein schon durch die Vorfreude auf die Ostsee garantiert. Ste.

Auf den ersten Blick ähneln die Weidezäune auf den früheren Rieselfeldern am nördlichen Berliner Stadtrand Anlagen aus den Alpen. Genau wie in den Gebirgsregionen stehen die Absperrungen auf dem 850 Hektar großen Areal rund um das kleine Dorf Hobrechtsfelde an 47 Eingängen zu mehreren Dutzend Weideflächen. Die Tore sind ausschließlich Barrieren für die dort grasenden Wildpferde und Rinder. Das Betreten durch Menschen ist ausdrücklich erwünscht; die Tore lassen sich von außen leicht öffnen. „Wir wollen Natur gerade für die Großstädter erlebbar machen“, sagt Bernd Hoffmann vom Förderverein für Deutschlands größtes Waldweideprojekt.

Seit zwei Jahren weiden hier Tiere; sie haben sich längst an Besucher gewöhnt, lassen sich gut aus der Nähe beobachten. Dennoch ist der auf vier Jahre angelegte Versuch kein Streichelzoo oder Tierpark. Die 30 Wildpferde und 170 schottischen Hochlandrinder, die Uckermärker und die englischen Parkrinder sollen möglichst viel Grünland abgrasen und junge Bäume anknabbern, damit irgendwann aus dem Dickicht unzähliger Pflanzenarten ein gesunder Mischwald entsteht. Dadurch könnte das schon für 1987 angekündigte Ziel, am Stadtrand ein attraktives Naherholungsgebiet zu schaffen, doch noch mit 30-jähriger Verspätung Wirklichkeit werden.

Zur 750-Jahr-Feier Berlins sollten die ehemaligen Rieselfelder in eine Region mit Wander- und Radwegen verwandelt werden. Allerdings fehlte es damals an geeigneter Vegetation und vor allem an Wasser. Der preußische Stadtplaner James Hobrecht hatte dort bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein riesiges Kanalsystem angelegt, um das verrieselte Abwasser in die Panke pumpen zu lassen. Sein System funktioniert bis heute und lässt sich nur mit Millionenaufwand beseitigen. So werden täglich 5000 Kubikmeter Wasser aus dem Klärwerk Schönerlinde auf die Fläche gepumpt, damit Pflanzen wachsen und Tiere leben können. Für Ausflügler gibt es eine Menge zu entdecken. Sie kommen mit dem Fahrrad, als Nordic Walker oder Wanderer, bepackt mit Ferngläsern, Fotoapparaten. Manche skaten auf dem Asphaltweg an der Landstraße oder trainieren im Hochseilgarten in der Mitte von Hobrechtsfelde. Und trotz der vielen Möglichkeiten und der guten Erreichbarkeit durch viele Rad- und Wanderwege bleiben noch genügend Plätze mit nahezu absoluter Stille und für Pausen in der Einsamkeit.

Vielleicht sprechen sich die Vorzüge dieses mit Aufwand und tierischer Hilfe geschaffenen Erholungsgebiets auch durch das neue Informationszentrum im alten Speicher etwas leichter und schneller herum. Der 30 Meter hohe Turm überragt die grüne Umgebung und erinnert an die fast schon vergessene Agrarbewirtschaftung der Rieselfelder. Denn die Abwässer der Großstädter verhalfen den Gemüsebauern zu ausgezeichneten Erträgen. Die Ernte wurde im Speicher gelagert – in solch großen Mengen, dass sich ab 1906 sogar eine 90 Kilometer lange Schmalspurbahn für den Transport des Gemüses in die Krankenhäuser im Berliner Ortsteil Buch und bis an die Hauptstrecken in die Hauptstadt und nach Stettin lohnte. Das ist längst vorbei, einziges Überbleibsel sind Schienenreste entlang der Straße.

Heute dient der Turm nicht nur als Ausstellungsstätte, er eignet sich auch ideal für einen Rundblick aus luftiger Höhe. An klaren Tagen ist sogar die Berliner Skyline mit Fernsehturm und Hochhäusern auszumachen. Eine noch schönere Aussicht bietet eine Anhöhe am Rande der Rieselfelder auf dem Weg nach Schönwalde. Von dort aus kann man sogar bis zum Teufelsberg schauen.

Unterwegs können Ausflügler noch auf eine weitere Besonderheit stoßen, die auf einem früheren Rieselfeld nicht unbedingt zu erwarten ist: Künstler haben im Freigelände mehr als 100 Plastiken, Skulpturen und fantasievolle Installationen geschaffen und nennen sie „Steine ohne Grenzen“. Lust, sie anzusehen? Führungen gibt es regelmäßig.

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