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Berlin: Gerechtigkeit, keine Gnade

Adolf Elgert sitzt seit 35 Jahren im Gefängnis, obwohl er raus könnte. Er will dort bleiben, bis seine Unschuld bewiesen ist

Niemand sitzt in Berlin so lange hinter Gittern wie er. Adolf Elgert ist am 19. Oktober 1972 festgenommen worden – wegen Mordverdachts. Er ist verurteilt worden zu „lebenslang“. Und seitdem sitzt der heute 64-Jährige in der JVA Tegel. Nicht erst seit der Diskussion um die Freilassung der RAF-Terroristen ist bekannt, dass „lebenslang“ nicht lebenslang bedeuten muss. Adolf Elgert hätte seit 20 Jahren frei sein können, das sagt er selbst. Denn nach 15 Jahren kann eine lebenslängliche Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden – wenn der Gefangene denn will.

Doch Elgert will nicht. Eine Justizsprecherin erklärt, dass der Rest einer lebenslänglichen Strafe nur zur Bewährung ausgesetzt werden könne, „wenn der Verurteilte einwilligt“. Willige er nicht ein, müsse man von einer „ungünstigen Sozialprognose“ ausgehen. „Und dann bleibt der drin“, sagt die Justizsprecherin. Solche Fälle seien „sehr, sehr selten“, da die Regelung ausschließlich bei lebenslang gelte. Wer beispielsweise zu zehn Jahren verurteilt wurde, muss spätestens nach diesen zehn Jahren seine Zelle räumen – und wenn er den Knast noch so lieb gewonnen hat. Laut einer Statistik des Justizministeriums aus von 1998 beträgt die Haftzeit bei lebenslänglich im Bundesschnitt 19,9 Jahre.

„Ich will hier raus“, sagt Elgert dem Besucher im Sprechzentrum der JVA. „Ich will aber keine Begnadigung, sondern Gerechtigkeit.“ Doch diese Bedingung ist für den Staat unannehmbar. Denn Adolf Elgert ist rechtskräftig verurteilt. Der Fall hatte damals Schlagzeilen gemacht: „Raubmord in der Kochstube“ titelte der Tagesspiegel am 15. Oktober 1972. In ihrer winzigen Wohnung an der Neuköllner Kopfstraße war am Vortag die 71-jährige Rentnerin Antonie Partsch erdrosselt aufgefunden worden. Ein paar Tage später werden Elgert und Herbert H. festgenommen. Beide belasten sich bei der Polizei und vor Gericht gegenseitig. Elgert will nur einen Tipp gegeben haben, wo Geld zu holen ist. H. will nur dabei gestanden haben, als Elgert die Frau erwürgte, um an das Geld zu kommen. Erst glaubt die Polizei Elgert, der Richter glaubt jedoch H. Elgert bekommt lebenslänglich, Herbert H. nur zehn Jahre. Seit langem lebt er wieder in Freiheit.

Mehrere Kanzleien haben in all den Jahren Wiederaufnahmeverfahren angestrengt, Elgerts derzeitiger Anwalt nennt prominente Namen – Bossi, Ströbele und Schily. Sie hatten versucht, an der Glaubwürdigkeit des Komplizen zu rütteln – vergeblich. Elgerts neuester Anwalt, der jetzt, nach 35 Jahren, einen weiteren Versuch starten soll, ist realistisch: „Das hat so gut wie keine Chancen“, sagt Tarig Elobied. Nach 35 Jahren finde man keine neuen Beweise, keine neuen Zeugen.

Elgert behauptet steif und fest: „Ich bin unschuldig.“ Die Zeugen hätten sich geirrt, H. gelogen und die Polizei schlecht ermittelt. „Der Staat muss sich bei mir entschuldigen“, wiederholt Elgert, ein Gnadengesuch stelle er nicht. Punktum. Antonie Partsch sei ein „Engel“ gewesen, schwärmt er. Die Polizei hatte damals ermittelt, dass die 71-Jährige im Kiez als gutmütige Geldverleiherin bekannt war; Elgert kannte sie über seine Mutter. Eine Viertelstunde der knappen Sprechzeit rechnet er dem Besucher vor, wieso er zur Tatzeit gar nicht am Tatort gewesen sein kann, er rechnet in Minuten und U-Bahn-Fahrzeiten. Nachvollziehen lässt sich das heute nicht mehr. „Gerechtigkeit ist wichtiger als Freiheit“, sagt Elgert mit Nachdruck.

Einmal, 1998, hatte ihn die Justiz begnadigen wollen, nachdem Leukämie diagnostiziert worden war und er nur noch fünf Tage leben sollte. Als sich dann herausstellte, dass er doch überlebt, sei die Begnadigung gestoppt worden, so erzählt der heute 64-Jährige. Mittlerweile habe er auch Magenkrebs überlebt. Adolf Elgert rauche gerne einen Joint, sagen Mitgefangene. Das ist im Knast so normal wie draußen. „Ohne Haschisch hätte ich das nicht überlebt“, sagt Elgert offen. Doch Haschisch ist verboten, auch in Tegel. Am kommenden Montag muss er sich mal wieder deswegen vor Gericht verantworten, es geht um Bruchteile eines Gramms.

1954 war er als Zwölfjähriger aus der DDR nach West-Berlin gekommen, 1960 hatte er als Fleischer ausgelernt, da musste man nicht so viel schreiben. Später war er Kellner, dann „Croupier“, wie er sagt. Zur Tatzeit war er arbeitslos, so stand es damals in der Zeitung. Zwei Söhne hat er, von zwei Frauen, die bei seiner Festnahme ein und zwei Jahre alt waren. Den Kontakt hat er abgebrochen, zu den Kindern, zu den Frauen, zu allen. „Die sollten den Knast nicht kennenlernen“, sagt er. Der Tagesspiegel ist der erste Besuch, den er seit Jahren empfängt, die Justizangestellten dehnen die erlaubten 30 Minuten stillschweigend aufs Dreifache aus. „Wozu soll ich mir draußen ein Umfeld aufbauen“, fragt Elgert. „Ich komme hier doch nie wieder raus.“

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