zum Hauptinhalt

Berlin: Gerhard Behnke geb. 1913

Gerhard Behnke interessierte sich für Häuser. Besonders für die, die sein Vater in Neukölln hatte bauen lassen.

Gerhard Behnke interessierte sich für Häuser. Besonders für die, die sein Vater in Neukölln hatte bauen lassen. Mit Mietbuch und Wechselgeld in der Tasche machte Gerhard Behnke noch mit 87 Jahren die Runde von Wohnung zu Wohnung. Hier und da klingelte er, kassierte die Miete in bar und persönlich. Bei anderen Mietern drückte er die Klingel, um ein Schwätzchen zu halten. Er erkundigte sich nach den Kindern, mahnte manchmal zur Ordnung. Gerhard Behnke war ein Patriarch alter Schule, fürsorglich denen gegenüber, die er als seine Schützlinge ansah.

Gerhard Behnkes Vater, Paul Behnke, nannte sich selbst Bildhauer, war aber wohl eher ein Stukkateur, der zu einigem Wohlstand gekommen ist. In Neukölln war die Familie zu Hause. Hier ließ Paul Behnke mehrere Häuser bauen, deren Fassaden er nach seinem Geschmack gestaltete. Gerhard Behnke hatte andere Talente. "Mein Vater war im Gegensatz zu meinem Großvater ein Logiker", sagt Eberhard Behnke, der Sohn. "Wie er mit Zahlen umgehen konnte, hat mich immer beeindruckt."

In den 30er Jahren studierte er Jura in Berlin. Der Krieg warf aber jede Karriereplanung über den Haufen. Statt das Studium zu Ende zu bringen, kämpfte Behnke bald als Marineoffizier gegen die Alliierten und kam schließlich in Gefangenschaft. Dann wurde er "entnazifiziert" und verschloss damit dieses Kapitel seiner Biographie hermetisch.

"Nie hat er über diese Zeit gesprochen. Es ist mir und meiner Schwester nicht gelungen, diese Mauer zu durchdringen", sagt Eberhard Behnke. Mit politischen Äußerungen war Gerhard Behnke vorsichtig. Von politischem Engagement wollte er nichts wissen. Mit dem Satz "Man landet dann doch wieder in der falschen Ecke" ging er Nachfragen aus dem Weg.

Nach dem Krieg studierte Gerhard Behnke zu Ende und etablierte sich danach als Anwalt in Berlin. Auch die Verwaltung der Neuköllner Häuser lag inzwischen in seinen Händen, denn Vater Paul war früh gestorben. Zunächst schienen diese beiden Tätigkeiten wenig miteinander zu tun zu haben. Doch das änderte sich bald.

Behnke wurde juristischer Berater des Pfandbrief-Amtes und am 1. Oktober 1955 schließlich Vorstandsmitglied des Unternehmens. Er blieb es 23 Jahre lang. Der Sohn Eberhard erinnert sich mit gemischten Gefühlen an die vielen vermeintlichen Ausflüge am Wochenende, die offensichtlich nur ein Ziel hatten: Behnke wollte die aktuellen Objekte des Pfandbrief-Amtes in Augenschein nehmen. "So haben meine Schwester und ich die Stadt sehr gut kennengelernt."

Der Vater kannte fast jede Straße in West-Berlin und besaß ein unglaubliches Gedächtnis für Häuser einschließlich der bis aufs Komma genauen Finanzierungslage. Als Gerhard Behnke 1978 seine erste Rente bekam, gab er die Juristerei von einem auf den anderen Tag auf. Mit der Verwaltung der Häuser sah das anders aus. Darum kümmerte er sich jetzt mehr als je zuvor.

Die Kinder waren längst aus Berlin weggezogen, und Gerhard konnte nun mit Ingeborg die Welt bereisen. "Meine Mutter war dabei die treibende Kraft", sagt Eberhard Behnke. "Obwohl sie kaum eine Sprache beherrschte, konnte sie sich einfach überall durchschlagen." Die beiden Rentner trauten sich was zu. In Amerika mieteten sie sich ein Auto und fuhren damit durch den ganzen Kontinent. Außerdem reisten sie nach Asien und Afrika.

Der Tod seiner Frau war für ihn ein schwerer Schlag. Die Familie machte sich große Sorgen um den Witwer. "In Berlin gab es keine Verwandten mehr. Wir glaubten nicht, dass er es allein schaffen würde", sagt Eberhard Behnke. Sie irrten sich. Inzwischen fast 80-jährig nahm er sich eine Haushaltshilfe und lebte weiter allein in der Wohnung.

Die Verwaltung der Mietshäuser gab er auch deshalb bis zum Schluss nicht ab, da er sich irgendwie beschäftigen wollte. "Die Häuser und seine Beziehungen zu den Mietern halfen ihm in der Zeit nach dem Tod unserer Mutter. Es hat ihn abgelenkt", sagt der Sohn.

Gerhard Behnke zog sich nicht zurück. Sein Interesse an der Welt blieb. Jede Woche wurden ihm Pakete mit Büchern ins Haus geliefert. Mit über 80 Jahren ließ er sich vom Sohn einen Computer installieren. "Er wollte den Anschluss nicht verpassen, wollte verstehen, was man damit machen kann." Bis zum Surfen im Internet ist es dann aber doch nicht gekommen.

Der Enkelsohn Ralf, der 1997 in eine Wohnung im selben Haus zog, war beeindruckt von der Aktivität des Großvaters. "Wenn ich ihn besuchte, saß er nie einfach so herum. Immer war er geschäftig." Die beiden unternahmen häufig etwas zusammen. "Wir sind fast jedes Wochenende in und um Berlin unterwegs gewesen", sagt Ralf Behnke. "Immer wieder hat er mich verblüfft. Selbst in OstBerlin kannte er fast alle Straßennamen."

Doch dann, ganz plötzlich, wurde der inzwischen 87-Jährige, der sich sein Leben lang nicht über Schmerzen beklagt hatte, krank. Die Ärzte diagnostizierten Nierenversagen. Wenige Tage später war Gerhard Behnke tot. Für die Mieter in den Neuköllner Häusern hat nun das Zeitalter der Banküberweisung begonnen.

Ursula Engel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false