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Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Die Parteien hoffen mit Hilfe der Präsente noch ins Gespräch über Inhalte zu kommen.

© K. Kleist-Heinrich

Geschenke im Berliner Wahlkampf: Mit Kakteen und Kondomen auf Stimmenfang

Im Endspurt des Wahlkampfs verteilen die Parteien nochmal ihr Gimmicks. Eine Auswahl der Wahlgeschenke dieser Saison.

Auf Michael Müllers Stirn ist viel Raum für Notizen. Man braucht nur einen Stift, der auf Keramik haftet. Irgendwie sind auf der SPD-Spitzenkandidatentasse die Proportionen ein klein wenig verrutscht. Ebenso länglich sieht Müller auf dem Memory-Stick aus. Aber beim Gedächtnis ist der USB-Müller mit 7,5 Gigabyte eine echte Kapazität.

Souvenirs wie diese signalisieren, dass der Ernst des Wahlkampfs nie zu Ende ist – jedenfalls nicht vor dem morgigen Sonntag, bis zu dem man sich die Souveniers noch sichern kann. Und kleine Geschenke erhalten womöglich ja auch beim Wahlvolk die Freundschaft. Im Angebot sind neben den immerwährenden Kugelschreibern und Luftballons auch einige Innovationen, wie ein Blick in die Fanshops der Parteien zeigt.

Bei der SPD gibt es außer roten Gummirathäusern auch gelbe Reichstage sowie grüne Siegessäulen und Brandenburger Tore – und zwar in der nichtvegetarischen Variante mit Gelatine.

Kresse als Wahlgeschenk? Nicht sehr nachhaltig

Das käme bei Grünen und Piraten wohl nicht in die Tüte. Die Grünen geben sich überhaupt zurückhaltend: Kugelschreiber und andere kurzlebige Kunststoffutensilien sind traditionell nicht im Angebot. Stattdessen hölzerne Malstifte („Damit Berlin bunt bleibt“) und die inzwischen traditionellen Samentüten. Nach Basilikum und Sonnenblumen von einst wird diesmal „Krasse Kresse“ verschenkt – „für mehr Grün zu Hause und in der Stadt“. Dabei ist Kresse kein sehr nachhaltiges Gewächs: Nach drei Tagen gekeimt, nach einer Woche essreif, nach zweien bitter, nach dreien hinüber.

Bei den Flaschenöffnern werden die rot-grünen Schnittmengen besonders deutlich: „Berlin bleibt offen“, druckt die SPD auf ihre. „Für ein offenes Berlin“ heißt es bei den Grünen, deren Modell nebenbei bemerkt etwas solider wirkt.

Tomatensaft mit Botschaft

Die Frage, ob all dieser Krimskrams nicht doch eher Arbeitsplätze bei der Müllabfuhr als Wählerstimmen sichert, verneinen die Parteistrategen. „Werbegeschenke sind Eisbrecher“, sagt FDP-Wahlkampfchef Christian Renatus. „In dem Moment, wo die Leute den Kugelschreiber sehen oder den Luftballon, sind sie ansprechbar. Und das nutzt man natürlich.“ Als Wahlkampfmanager achte er allerdings auch im Endspurt darauf, dass das meiste Geld nicht in Kinkerlitzchen, sondern in Programmflyer investiert werde. Auch die Werbegeschenke müssten „immer eine Botschaft ausstrahlen“. Bei der FDP lautet die vor allem, dass der Flughafen Tegel offen bleiben muss. Als Merkhilfe schenken die Liberalen auch Tomatensaft aus – Tomaten der Lüfte, sozusagen.

Wie viel für die Utensilien ausgegeben wird, vermag keine Partei zu beziffern. Alle verweisen auf ihre sechs- bis siebenstelligen Wahlkampfbudgets, in denen die teils zentral, teils von Orts- oder Kreisverbänden und Kandidaten georderten Kleinigkeiten ein relevanter, aber längst nicht der größte Posten sind. Mehrere Parteien haben eigene Lieferanten, an denen sie selbst beteiligt sind.

Christlich-demokratisch verhüten

CDU-Sprecherin Gina Schmelter erklärt die immerwährende Beliebtheit der Kugelschreiber schlicht mit deren praktischem Nutzen. Bei der CDU steht auf fast allem, was sie anzubieten hat, „Starkes Berlin“ – vom Kaubonbon bis zum Stoffbeutel. Ausnahme sind die Kondome, bei denen der Spruch vielleicht unangemessenen Druck aufbauen könnte. Also steht auf denen „Sicher l(i)eben“. Zu besonderen Anlässen wie Veranstaltungen werden auch beschriftete gläserne Espresso-Tassen gereicht. Aus denen kann man notfalls auch jenes lachsfarbene Erfrischungsgetränk schlürfen, dessen beunruhigende Zutatenliste mit Wasser beginnt und mit Aroma noch lange nicht endet. Für ganz Mutige gibt es auch dunkelblaue T-Shirts, auf denen hinten rot und riesig „CDU“ steht.

Ein wirklich exklusives Highlight hat wie schon in früheren Jahren der Abgeordnete Christian Goiny im Angebot: Der Finanzfachmann ist passionierter Kakteenzüchter und hat hunderte Pflänzchen für den Wahlkampf eingetopft. Gegen so viel Individualität sieht selbst der grüne Igel plötzlich ganz schön stumpf aus.

"Positionspapier" zum Jointdrehen

Die Piraten haben wegen der großen Nachfrage ihre Plakate mit dem Schwein und der Veggie-Parole „Friend, not food“ zum Mitnehmen nachgedruckt, berichtet Landesparteichef Bruno Kramm. Nun müssen die Leute sie nicht mehr von den Laternen pflücken. „Immer beliebt sind auch die Modellierballons. Ich brauche 40 Sekunden für einen Säbel“, sagt Kramm. Sehr gefragt seien auch die „Positionspapier“ genannten Zettelchen, aus denen Bedürftige sich Joints drehen können. Und wo die Grünen sich mit Kresse begnügen, verteilen die Piraten wirklich krassen Hanfsamen. Das seien ja hübsche Pflänzchen, sagt Kramm. Und zu der Frage, ob man das überhaupt darf: „In Thüringen haben wir gerade einen Rechtsstreit darum gewonnen.“ Aber auch die Piraten wollen die Leute nicht nur bedröhnen, sondern bilden – mit „einer Riesenauflage des Wahlprogramms“.

Um das geht es ja letztlich; Kulis & Co. sind immer nur Transportmittel für die Inhalte, betonen alle. Mehrere Parteien haben sich für die Kombi-Variante entschieden und Bierdeckel mit Kernbotschaften im Sortiment. Thomas Barthel, Sprecher der Linkspartei, entschuldigt die überschaubare Originalität: „Wir haben unsere Kreativität lieber in andere Dinge investiert“. Immerhin haben die Linken Smartphone-Putztücher sowie rot eingefasste Sonnenbrillen im Angebot, auf deren linkem Bügel „Links“ steht.

Die AfD, die eine Tagesspiegel-Anfrage nach ihren Gimmicks unbeantwortet ließ, soll bei der Kundschaft vor allem dank Einkaufswagenchips mit eingebauter D-Mark punkten, berichtete die „B.Z.“ Aber davon kann sich der Wähler auch nichts kaufen.

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