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Berlin: Geschichte mit Baldachin

Das Hotel Bogota würde demnächst 50 Jahre alt. Jetzt wurde dem Chef vom Vermieter gekündigt.

„Nichts hatte sich verändert“, staunte Helmut Newton, als er das alte Haus in der Schlüterstraße 45 Jahrzehnte nach seiner Emigration 1938 zum ersten Mal wiedersah. Hier, in der Atelierwohnung der Fotografin Yva, im heutigen Hotel Bogota, war ihm das Fotografieren beigebracht worden, hier hatte er gelernt, „Negative zu retuschieren und Abzüge zu machen“, aber auch Frauenbeine ins rechte Licht zu setzen. „Dass ich bei Yva lernen durfte, war der Olymp für mich“, ja sogar „die wahrscheinlich glücklichsten Jahre“ seiner Jugend. Ewigkeiten war das her und dennoch: „Der Kronleuchter hing noch an der Decke“.

Ein Ort mit Vergangenheit, mit wildbewegter Geschichte, der offenbar ein tiefgreifender Einschnitt bevorsteht: Zum 30. März wurde dem Hotel, das im kommenden Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiern würde, gekündigt, wie Hotelbetreiber Joachim Rissmann bestätigt. Vom Verwalter des Hausbesitzers war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Das Verhältnis war laut Rissmann schon seit einiger Zeit problematisch, unter anderem habe dabei der auffällige Baldachin vor dem Eingang eine Rolle gespielt. Auch schätzt er die Situation kleiner und mittlerer Hotels in Berlin nicht gerade rosig ein. Nun hat Rissmann einen Anwalt eingeschaltet, weiß überhaupt nicht, wie es weitergeht, lässt sich gleichwohl in der Fortführung seines Kulturprogramms nicht beirren.

Es steht in der Tradition des Hauses, dessen Geschichte weit älter ist als die des Hotels mit seinen – zum Teil sehr kleinen – 115 Zimmern. Gebaut wurde es 1911, zu den frühen Bewohnern gehörte der Gummifabrikant Oskar Saller, der dort rauschende Feste feierte, sich Renoir, van Gogh, Liebermann und Spitzweg an die Wände hängen konnte, und bei dem der junge Banny Goodman zum Tanz aufspielte.1934 zog die jüdische Fotografin Yva ein, die später mit ihrem Mann im KZ umgebracht wurde. Nach der Enteignung der ebenfalls jüdischen Besitzer zog die Reichskulturkammer unter Hans Hinkel ein, nach Kriegsende wurde dort von den Briten entnazifiziert, schließlich hatte man im Haus viele Akten der NS-Behörde vorgefunden – und zudem ein im Kellerfenster eingeklemmtes Liebermann-Gemälde. Auch Rühmann und Furtwängler mussten dort antreten.

1945 wurde in der Schlüterstraße 45 die Kammer der Kulturschaffenden sowie der Kulturbund der späteren DDR gegründet. Und dort eröffnete 1964 in Yvas Atelier der nach Berlin zurückgekehrte Heinz Rewald die Hotelpension Bogota. Benannt hatte er sie nach der Hauptstadt Kolumbiens, des Landes, in dem er überlebt hatte. Andreas Conrad

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