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Berlin: Geschichten aus dem Märchenland

Unsere zielsichere Serie führt uns diesmal an den Stadtrand nach Heinersdorf

Lust auf eine kleine Landpartie? Wir brauchen auch nicht lange. Es gehört zu den Vorzügen Berlins, dass man die Stadt nicht einmal verlassen muss, um ein bisschen Landluft zu schnuppern. Wer dörfliche Beschaulichkeit sucht, hat es nicht weit. Unter den Hauptstädten Europas war Berlin lange nur ein Dorf. Und seit sich die verspätete Metropole, die erst das Industriezeitalter zu Wachstum antrieb, 1920 die umliegenden Ortschaften einverleibte und als Einheitsgemeinde Groß-Berlin in Weltstadt machte, gehört das Landleben zum Stadtbild.

Der Weg hinaus nach Heinersdorf führt zum S-Bahnhof Pankow, von dort mit dem Bus 155. Die Fahrt an den Rand von Groß-Berlin ist eine Zeitreise, Kissingenplatz, Granitzstraße, vorbei an reihenweise Mietshäusern, mit kleinen Balkonen und lichten Rasenflächen dazwischen, Wohnungen im Stil der Neuen Sachlichkeit, in denen sich die Angestellten der zwanziger Jahre aus den beengten Hinterhöfen der Innenstadt befreiten, und weiter über die Prenzlauer Allee. Hinter dem Autobahnzubringer passieren wir die Heinersdorfer Kirche. Zwischen verödeten Industriebauten enden Bahngleise im grünen Dickicht. Unsere Bushaltestelle heißt „Straße 16“ und liegt direkt vor einem nagelneuen Kauflandklotz mit Riesenparkplatz. An der Araltankstelle biegen wir ab in den Wischbergeweg. Zwischen grau verputzten Fassaden mit niedlichen Holzläden stehen schneeweiße Fertigbauten und maßgeschneiderte Eigenheime. Noch klaffen Grundstückslücken, aus denen neue Einfamilienhäuser wachsen sollen. Ein hölzernes Blockhaus noch, und es hat sich ausgesiedelt.

Hinter den Hecken an der Malchower Straße beginnt das Kolonialgebiet der Laubenpieper. Am Wegesrand sind rosa Pappschilder in Schweinsform an Telefonmasten genagelt, die vom „Heinersdorfer Schlachtfest“ künden. Das Landgasthaus zur Linde an der Kleingartenkolonie „Gesundheitsquell“ lädt den müden Wanderer zur Rast. Gastwirt Michael Haase schenkt einen Kaffee ein, nach alter Art bereitet. Und während sich der Kaffee setzt, kommt der Wirt mit Schnurrbart und Holzfällerhemd ins Plaudern. Seit fünf Jahren führt der 44-jährige Weißenseer die kleine Gaststätte, die es schon seit einem halben Jahrhundert gibt.

Überhaupt weiß Michael Haase viel von der Gegend zu berichten. „Ich interessiere mich für die Lokalgeschichte.“ Eine geschichtsträchtige Gegend sei das hier, sagt er und erzählt vom Märchenland. So heißt hier eine Kleingartenkolonie, übrigens die älteste Berlins, nicht zu vergessen die ehemalige Radrennbahn Weißensee, ebenfalls die erste ihrer Art – heute nur noch Ruine. Überhaupt: In dieser Gegend wurde Sportgeschichte geschrieben. An der Roelckestraße kickte die Hertha 1906 ihre ersten Bälle.

Michael Haase rückt mit dem Stuhl heran, der Gastraum ist leer und er hat Zeit. Er zeigt eine Postkarte von 1930, darauf ist eine Laube zu sehen, wo heute sein kleines Gasthaus steht. Ansonsten hat sich wenig verändert, und den Leuten gefällt das. Damals, als die Olympiaplaner das alte Radrennbahn-Gelände und dazu ein Stück der Kleingartensiedlung bebauen wollten, da hätten sie den Aufstand geprobt. Auch die Bewohner der Wagenburg, die von Kreuzberg auf die ehemaligen Obstplantagen von Malchow umgesiedelt werden sollten, waren hier nicht willkommen. Die Leute vom Stadtrand setzten sich durch. Die Landruhe blieb ungestört.

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