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Berlin: Geschichten aus dem Plänterwald

Die Neuköllner Oper erinnert mit Aktionen an Aufstieg und Niedergang des Vergnügungsparks am Treptower Spreeufer

Still ist es im Plänterwald an diesem tropisch heißen Vormittag. Nur wenige Spaziergänger genießen den Schatten unterm dichten Blätterdach. Eine Familie mit zwei Kindern im Schlepptau schlendert neugierig am hohen Drahtzaun entlang, an dem Schilder verkünden, dass sich dahinter Privateigentum verbirgt. Ein Stück davon entdeckt in dem Moment gerade jubelnd eines der beiden Kinder. „Ein Riesenrad“, kreischt der Junge begeistert – dann steht die Familie am Zaun und staunt das rostrote riesige Rad an, das sich auf dem verwilderten Gelände wie eine Fata Morgana vor ihnen auftut. Verwunschen sieht es aus, wie es da mit seinen blauen, grünen und gelben 36 Gondeln menschenleer 45 Meter hoch in den Berliner Himmel ragt.

Was die fremden Spaziergänger nicht wissen – das Riesenrad da vor ihnen rostet bereits seit 2001 vor sich hin – so lange liegt der 1969 eröffnete Kulturpark und spätere Spreepark schon brach. Wie es dazu kam, dass das 20 Hektar große Vergnügungsareal, das zu DDR-Zeiten jährlich 1,7 Millionen Besucher anlockte, so verwahrlosen konnte, will die Neuköllner Oper demnächst auf ihrer Bühne erzählen. „Geschichten aus dem Plänterwald“ heißt die musikalische Standortuntersuchung, die am 24. August in der Karl-Marx-Straße 131 uraufgeführt werden soll.

Bevor dort fiktive Kassenfrauen des ehemaligen Vergnügungsparks Träume, Visionen und Zukunftspläne äußern, die dabei nicht nur „Geschichten aus dem Plänterwald“, sondern auch der deutschen Gegenwart sind, lädt das Ensemble an drei Sonntagen „vor Ort“ nach Treptow ein. Zum Lokaltermin hat Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper professorale Unterstützung mitgebracht: David Reuter, Professor für Darstellendes Spiel von der Hochschule für Bildende Kunst Braunschweig, die an der Theateraktion mitwirkt. Im Detail will der 42-jährige Professor allerdings nicht verraten, was er sich mit seinen Studenten für die drei „Sonntagsspaziergänge im Märchenwald“ ausgedacht hat, zu denen die Neuköllner Oper unter dem Motto „Pläntern im Walde“ an den drei kommenden Sonntagen einlädt. Der Begriff „Pläntern“ kommt übrigens aus der Forstwirtschaft und steht für einen Wald, der in seinen Alterstufen so angelegt ist, dass man praktisch immer Holz in ihm schlagen kann. Das alles erfährt der Besucher am letzten der drei Aktionssonntage – bei einem Spaziergang mit Wald-Experten, Musikern, Speis und Trank und Überraschungen, die weithin hörbar sind. An den Sonntagen zuvor geht es mit viel Fantasie und auch entsprechendem Liedgut um „Geschichten aus dem Plänterwald“. Eine Schnitzeljagd zum Untergang des Spreeparks gehört ebenso dazu wie eine Tombola, deren Hauptgewinne Geschichten sind, die man an Ort und Stelle erzählt bekommt. Dazu gehört die Geschichte, die sich um die Pleite des Spreeparks durch seinen Hamburger Betreiber Norbert Witte dreht. „Wittes Lebensgeschichte schreit geradezu nach Theater“, sagte Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper.

Wer Glück hat, gewinnt bei der Tombola die noch weitaus abenteuerlichere Geschichte über den Vater des Spreepark-Pleitiers. Der 1872 in Pankow geborene und durch die Welt vagabundierende Schausteller Otto Witte brachte es weiter als sein Sohn, der inzwischen wegen Drogenhandels im Gefängnis sitzt. Otto Witte ließ sich am 15. Februar 1913 zum König Otto I. von Albanien krönen – das steht sogar auf seinem Grabstein.

Was auf den beraubten, aufgebrochenen und mutwillig zerstörten Kassenhäuschen des einstigen Freizeitparks steht, ist dagegen nicht zu entziffern. „Eine Schande ist das hier“, schimpft ein junger Mann, der mit seiner Dogge vorübergeht. „Abends sollten Sie mal kommen, wenn die Kupferspechte am Werk sind“. Damit meint der Treptower diejenigen, die sich von den Hinweisen auf den 24-Stunden-Notrufdienst einer Sicherheitsfirma nicht abschrecken lassen und an den Maschinen der verbliebenen Fahrgeschäfte das abmontieren, was kiloweise richtig Geld bringt – Kupfer. „Sie hätten das hier früher mal sehen müssen“, endet der Hundebesitzer seine lokalen Informationen im Plänterwald. Eine Ahnung von früher bekommt der Fremde, wenn er am Zaun entlangläuft, hinter dem das ehemalige volkseigene Familienvergnügen verrottet, Gras über Schienen wächst, auf denen einst bunte Fahrgeschäfte ihre Kreise zogen. An einer Stelle steigen einsame Karussellpferde im dichten Grün steil in die Höhe und erinnern daran, dass hier einst fröhliches Kinderlachen zu hören war. Um genau diese Erinnerungen geht es der Neuköllner Oper auch bei ihren geplanten „Geschichten aus dem Plänterwald“. Wer etwas dazu beisteuern möchte, kann anrufen – Telefon: 688 9070.

„Sonntagsspaziergänge im Märchenwald“ am 30. Juli, 6. August und am 13. August jeweils von 15 bis 18 Uhr, freier Eintritt, Treffpunkt ist das Kassenhäuschen.

Heidemarie Mazuhn

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