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Berlin: Geschichten aus der Wohlfühlwelt

Sie stellen sich gerne auf einen geregelten Ablauf ein, die Fans der schwäbischen Gruppe Pur. Und sie sind treu. Jetzt strömten sie wieder zu ausverkauften Konzerten ins Velodrom. Und träumten zusammen mit Frontmann Hartmut Engler

„Jetzt müssen wir aber langsam mal reingehen“, mahnt Maren (26) ihre Freundin vierzig Minuten vor Konzertbeginn. Meike (28) stimmt sofort zu. Im Alltag sind sie beide angestellte Bürokräfte. Heute Abend aber sind sie einfach nur Pur-Fans. Sie verschwinden im Gemenge des ausverkauften Velodroms. Gute Plätze sichern. Rechtzeitig da sein, rechtzeitig in Stimmung kommen. Pur-Fans haben einen ausgesprochen sensiblen Sinn für zuverlässige Planung, für geregelte Abläufe mit guter Laune. Sänger Hartmut Engler hat deshalb gleich zu Anfang alle Sympathien auf seiner Seite, wenn er ordentlich fetzig seinen Gruß herausruft: „Wir wünschen einen guten Abend in Berrrliiiiiiin!“ Ordentlicher Applaus, gelungene Pfiffe.

Ja, wir sind das beste Publikum der Welt. Steht zumindest auf dem neuen Platten-Cover. Der Pop-Star mit weißem T-Shirt unterm Jeans-Hemd geht noch einen Schritt vor und strahlt die Masse an. Tosender Beifall, Jubelgekreisch. Im Pressetext ist von Zuschauern die Rede, die „in ihrer Euphorie nicht zu bremsen“ seien. Auch Begeisterung ist vorhersehbar. Wunschgerecht programmieren sich Pur-Fans gerne auf „Abenteuerland“ und fühlen sich als „Indianer“, wenn Hartmut Engler und die lieben Band-Kollegen Martin Ansel und Cherry Gehring die sehnsuchtsvollen Refrains in parallelen Terzen zum volltönenden Klingen bringen. Von einer besseren Wohlfühlwelt. Vom inständig Guten in dir und deinen Mitmenschen. Und von der Ahnung, dass das alles irgendwo hier gleich um die Ecke zu haben ist.

Ihren Titelsong der Tournee 2003 präsentierte die Gruppe als erstes Lied. „Was ist passiert?“, singt Hartmut Engler und spielt den komplett Ratlosen. Sein überdeutliches Schulterzucken und die großen Fragezeichen an der Videowand veranschaulichen den Sachverhalt. Nicht ganz nachzuvollziehen hingegen ist der auf den Titel gereimte Vers „wenn sich die Lebenslust verliert“. Schließlich trifft man auf der Bühne und im Saal allseits auf ausgelassene Fröhlichkeit.

Die Fans singen sämtliche Texte mit. Wenn Pur über die Schwermut grübelt, dann wiegen sie sich zu den eingängigen Melodien. Immer in Solidarität mit den emotional Leidgeprüften. Der schlimmste anzunehmende Unfall, der jede und jeden anheim fallen kann, ist, wenn sich trotz aller Planung und Ordnung Trübsal einstellt. Musikalisch untermalt Pur die Krise mit breiten Gitarren-Akkorden, mit Bass und Keyboards, die nichtsdestoweniger in sicheren Kadenzen immer zur Grundtonart zurückkehren.

Mit diesem waschmittelsauberen Rock ist Pur Deutschlands erfolgreichste Band. In ihrer zwanzigjährigen Karriere zeigen die Hoffnungsträger aus dem süddeutschen Bietigheim-Bissingen, dass ganz normale Pop-Musik ohne Extravaganzen hierzulande die größte Anerkennung erhält. Verglichen mit den Halbwertszeiten anderer Popgruppen ist Pur geradezu beständig. Dennoch ist die Vorstellung etwas seltsam, dass Lieder wie „Herzbeben“ oder „Hör gut zu“ einmal zu Klassikern deutscher Popmusik zählen könnten. In Potpourris stellten Pur gegen Ende des Konzerts ihre älteren Songs zusammen. Ein ordentliches Schlussprogramm!

Sven Schade

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