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Berlin: Geschichtsbuch zum Durchlaufen

Fast 17 Jahre nach dem Fall der Mauer erinnert Berlin am Checkpoint Charlie an die Jahre der Teilung

Der Besucher fühlt sich, als stehe er mitten in einem gigantischen Geschichtsbuch. „Die Mischung aus Details und Gesamtüberblick ist anregend“, lobt zum Beispiel David Rothstein, Biologe aus Lexington, Massachusetts. Der 58-Jährige, der mit der Familie zu Besuch ist, war nie zuvor in Berlin. Aber der Begriff „Checkpoint Charlie“ ist ihm seit seiner Jugend vertraut. Als Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei/PDS) am Freitagvormittag die Mauer-Ausstellung eröffnet, inspizieren die Rothsteins gerade die zweieinhalb Meter hohen Fotos und Texte, die auf Deutsch und Englisch über das Jahr 1961 informieren, als sich hier russische und amerikanische Panzer gegenüberstanden. „Bewegend“, sagt der Amerikaner.

Emotional berührt zeigen sich an diesem Tag auch andere Besucher des historischen Ortes. Das ist nicht selbstverständlich: Als vor gut einem Jahr die als temporäre Installation gedachten Holzkreuze für die Mauertoten entfernt wurden, befürchteten nicht nur SED-Opfer, dass die angekündigte Mauerschau des Landes das DDR-Unrecht und den Schrecken der deutschen Teilung zu abstrakt und zu wenig emotional vermitteln würde.

Die Reaktionen der ersten Besucher nach der offiziellen Eröffnung sprechen nicht dafür, auch wenn jeder unterschiedlich auf die 175 Bilder und Texte reagiert, die auf der knapp 300 Meter langen Galeriewand zu sehen sind. Horst Rose, West-Berliner Behördenmitarbeiter im Ruhestand, ist besonders von den Bildern berührt, die die Anfänge der Mauer zeigen. „Ich war hier, als die Panzer sich gegenüberstanden, und es bewegt mich, die Bilder jetzt noch einmal zu sehen“, sagt der 71-Jährige. Auch Roy S. Weatherston, stellvertretender Kulturattaché der US-Botschaft, findet die Schau gelungen. „Hier lernen Besucher mehr als in jedem Schulbuch“, sagt der Amerikaner, nachdem er die Ausstellung gemeinsam mit Flierl eröffnet hat. Andere wie der Kaufmann Wilfried Meinel loben die informativen, sachlichen Texte – „auch wenn man als Berliner nichts Neues lernt“.

Kritik kommt vor allem von jenen, die sich vor einem Jahr für die Kreuze stark machten, die von der Chefin des privaten Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, zum Gedenken an die Maueropfer aufgestellt worden waren. „Diese Schau ist ein sehr schlechter Ersatz“, bemängelt Alex Latotzky, SED-Opfer und als Referent unter anderem in Hildebrandts Museum tätig. „Die Kreuze sprachen die Menschen emotional an – das hier kann ich in jeder Ausstellung sehen“, sagt Latotzky und lässt den Blick über die Tafeln schweifen, die den Ausbau des Grenzübergangs sowie gelungene und tödlich missglückte Fluchtversuche zeigen. CDU-Generalsekretär Frank Henkel findet die Schau als „linke Light-Version einer notwendigen Erinnerung und Mahnung“ ebenfalls nicht ausreichend. Ähnlich sieht das die Junge Union, die am Rande protestiert.

Auch an sie richtet sich Flierls Eröffnungsrede. Der Senator erklärt, dass die Ausstellung neben Weltpolitik, die an diesem Ort besonders spürbar war, auch die Unmenschlichkeit und den Schrecken der Mauer beschreiben soll. Gezielt spricht er die Kritiker der CDU an und erklärt, dass er zwar für eine „Kontextualisierung“ und „Historisierung“ der Mauer stehe, aber nicht der Relativierung der SED-Herrschaft oder der „monströsen, brutalen Berliner Mauer“ das Wort reden wolle. Ausdrücklich dankt er mehreren Opferverbänden für ihre Mitarbeit. Seine Gegner vermag das nicht zu überzeugen.

Die meisten Besucher haben an diesem Tag allerdings gar keine Meinung, sondern stehen in Texte und Bilder vertieft vor den Stellwänden, schütteln gelegentlich den Kopf und weisen einander auf dramatische Geschichten wie die der ersten und der letzten Mauertoten oder der Maueröffnung im November 1989 hin.

Eine Brache war der ehemalige Grenzübergang am Checkpoint Charlie fast 17 Jahre lang. Nach dem Mauerfall geplante Immobilienprojekte scheiterten. Bis Investoren für die beiden Grundstücke an der Friedrichstraße gefunden sind, informiert das Land hier über die Geschichte des Ortes.

Der politische Streit um die richtige Erinnerung am Checkpoint Charlie hängt zusammen mit dem kürzlich verabschiedeten Gesamtkonzept des Senats zum Mauergedenken. Das sieht unter anderem den Ausbau der Mauergedenkstätte Bernauer Straße vor.lvt

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