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Berlin: Geschlossene Heime für Kinder sind kein Tabu mehr

Schon wieder wurde ein Junge beim Dealen gefasst Innensenator: Offene Einrichtungen sind hier sinnlos

Mit den herkömmlichen Mitteln scheint das Problem nur schwer in den Griff zu bekommen zu sein. Nachdem ein elfjähriger Junge insgesamt elf Mal beim Drogenhandel aufgegriffen wurde, schwinden nun die Vorbehalte gegen geschlossene Heime. „Die kriminellen Karrieren solcher Kinder müssen durch die Unterbringung in geeigneten Einrichtungen gestoppt werden“, sagte gestern Innensenator Ehrhart Körting (SPD). „Heime, in denen die Kinder kommen und gehen können, wie sie wollen, sind hier völlig sinnlos.“ Er fordere jedoch keine Heime, wie sie hierzulande noch vor 30 Jahren üblich waren, hieß es aus dem Senat. Es gehe nicht darum, die Kinder wegzuschließen. „Maßgeblich ist, dass sie nicht weg können und pädagogisch betreut werden“, sagte Körting. Ob der Vorstoß im rot-roten Senat mehrheitsfähig ist, bleibt fraglich.

Die CDU plädiert seit Jahren für geschlossene Einrichtungen. Kriminell würden die Kinder dadurch, dass der Senat sie in der Befehlsobhut von oftmals „bereits polizeilich bekannten Familienverbünden“ belasse, sagte CDU-Jugendexpertin Emine Demirbüken-Wegner in Anspielung auf arabische Clans, in deren Umfeld sich junge Dealer häufig aufhielten. Nach Angaben des Landeskriminalamts werden Kinder von Banden, die oft aus dem Ausland kommen, als Dealer eingesetzt.

Die Polizei hat am Montag schon wieder ein Kind beim Drogenhandel erwischt. Der 13-Jährige soll einer Frau am U-Bahnhof Möckernbrücke typische Drogenkügelchen mit Heroin verkauft und mehrere hundert Euro bei sich gehabt haben. Da er keinen festen Wohnsitz in der Stadt hat, wurde er dem Kindernotdienst übergeben. Noch Montagabend kam von dort eine Vermisstenanzeige: Der Junge war wieder verschwunden. Wo er und die beiden ebenfalls in der vergangenen Woche festgenommenen Elf- und Zwölfjährigen sich nun aufhalten, ist unklar. „Wir wissen es jedenfalls nicht“, sagte ein Polizeisprecher.

Bis zum 14. Lebensjahr sind Kinder in Deutschland strafunmündig. Die Polizei muss sie laufen lassen. Deshalb hatte auch die kürzlich gestorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig geschlossene Heime gefordert, sie warnte vor der „arabischen Drogenmafia“: Der Elfjährige stammt wahrscheinlich aus einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Es wird angenommen, dass er wegen der Strafunmündigkeit nach Berlin geschleust wurde. Zuständig sind in solchen Fällen weder Polizei noch Justiz, sondern die Senatsbildungsverwaltung. Auf Nachfrage war am Dienstag weder zu erfahren, ab wann ein Kind in eine Einrichtung kommt, noch wie viele derartige Heime es für in Berlin aufgegriffene Kinder gibt. Problematisch scheint, dass Jugendämter den Bezirken unterstehen, es also nur sehr schwer möglich scheint, einen Überblick zu bekommen.

Minderjährige, die allein in Berlin einreisen, werden durch die Senatsverwaltung für Bildung offiziell in Obhut genommen. Sie kommen vorläufig in die Erstaufnahmeeinrichtung in der Zehlendorfer Wupperstraße – dort lebte zumindest der Elfjährige. Wenn entschieden wird, dass die Kinder in Deutschland bleiben, etwa weil keine Angehörige auszumachen sind, werden sie auf andere Heime verteilt. Grundsätzlich gilt für sie die Schulpflicht. An Personal, das die Kinder täglich zur Schule bringt, überwacht und abholt, mangele es aber, hieß es von Mitarbeitern der Behörden.

Anfang der 90er Jahre hat Berlin seine geschlossenen Heime abgeschafft. In anderen Bundesländern gibt es sie noch, etwa in den unionsregierten Baden-Württemberg und Bayern. In der hiesigen Region ist die Lazarus-Gesellschaft des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF) der größte Träger von Kinder- und Jugendeinrichtungen. Fünf dieser Häuser gelten als geeignet für kriminelle Kinder: Das EJF betreibt derzeit in der Uckermark fünf Einrichtungen, die auf die Betreuung von Kindern unter 14 Jahren, die straffällig geworden sind, spezialisiert sind. Obwohl es sich offiziell um offene Heime handelt, ist die Unterbringung dort „verbindlich“ – inklusive strenger Tagesstruktur und klarer Absprachen zwischen Betreuern und Kindern. Das EJF plant derzeit im brandenburgischen Rauen eine weitere, quasi geschlossene Einrichtung für delinquente Kinder unter 14 Jahren. Auf dem „Gut Johannesberg“ könnten 36 Plätze geschaffen werden.

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