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Dieser Herr war einer von wenigen Teilnehmern: Trotz der Hitze war es gar nicht so einfach, Passanten zu finden, die Berlins Wasser testen wollten.

© Thilo Rückeis

Geschmacksprobe am Alexanderplatz in Berlin: Berliner Leitungswasser gegen Mineralwasser

Ein kompletter Umstieg auf Leitungswasser würde jährlich fast 100 000 Tonnen CO2 vermeiden. Doch noch immer greifen die Berliner zur Flasche. Passanten testeten nun, ob ihnen Leitungs- oder Mineralwasser besser schmeckt. Das Getränk war klar, das Ergebnis nicht.

Frisches Wasser ist bei diesem Wetter besonders gefragt. Insofern hatten die Marketingmenschen der Berliner Wasserbetriebe eine taktisch kluge Idee, als sie für Donnerstag bei 28 Grad und Sonnenschein zum Publikumsvergleich auf den Gehweg der Grunerstraße vors Alexanderhaus luden. Die Frage lautete, ob das Berliner Leitungswasser gegen drei etablierte Mineralwässer aus der Flasche bestehen kann.

Die Hauptstadtpresse ist vollzählig versammelt, um die Antwort zu erfahren. Das erweist sich als Teil des Problems. Gerade rund um den Alexanderplatz reagieren Passanten reserviert auf jegliche Ansprache. Das gilt erst recht, wenn die Angreifer mit Mikrofonen und Kameras bewaffnet sind oder so unverschämt gut gelaunt wie die jungen Männer in den blauen BWB-T-Shirts, die Tanks auf dem Rücken tragen und einen Schlauch samt Einfüllstutzen in der Hand halten. Sie sind das kalorien- und kostenfreie, aber offensivere Pendant zum Grillwalker.

Mangels williger Passanten probiert man sich also erst mal selbst durch die vier gleich aussehenden Karaffen. Dass Wasser Nr. 4 irgendwie rußig schmeckt, liegt wohl eher am Stopp des angejahrten Sightseeing-Busses direkt nebenan. Sicher ist, dass Nr. 3 nicht so kalt ist wie die anderen. Ein subjektiver Nachteil, zumal anders als geplant nur stilles Wasser angetreten ist. Das Bezirksamt Mitte war bei der Sondernutzungserlaubnis für den Gehweg wohl etwas schwergängig, ist zu hören. Deshalb mussten die BWB ihre mobile „Wasserbar“ samt Sprudelmaschine im Depot lassen. Und das laue mit Nr. 3 ist ausgerechnet das Leitungswasser, das zwar relativ frisch gezapft ist, aber im Unterschied zur Flaschenkonkurrenz nicht auf Eis gelegt werden konnte.

Die Vorzüge der Apfelschorle

Endlich ein redseliger Proband: „Däs Dritte war ä bissel weicher wie die anderen“, sagt der Mann, der sich als Marcus Weber vorstellt, aus Jena kommt und sich gerade in den Flitterwochen befindet. Seine Frau verweigert den Test. Dafür kommt ein Rentner mit Goldkette vorbei: Helmut Effenberg, Berliner. Er sortiert das eben noch siegreiche Leitungswasser als „irgendwie lasch“ aus und stimmt für Nr. 2. Das ist „Spreequell“, auf dessen Etikett ein Fernsehturm prangt, obwohl es aus Bad Liebenwerda in Südbrandenburg kommt. Es habe wenigstens ein bisschen geperlt, sagt Effenberg und preist im Gehen noch die Vorzüge von Apfelschorle.

Der Nächste, Malte Starostik, 35, trägt ein ironisches Nerd-T-Shirt und kürt Nr. 4 zum Sieger: Volvic. Dem hatte ein anderer Tester zuvor eine leichte Plastikflaschennote bescheinigt. Zwischenfazit: Bisher kein Punkt für Nr. 1, das Lidl-Produkt „Saskia“ aus Leißling an der Saale. Ansonsten und überhaupt alles Geschmackssache. Die Sprecherin der Wasserbetriebe bestätigt den Befund: Auch frühere Tests hätten keine klaren Sieger oder Verlierer hervorgebracht, sondern allenfalls geschmackliche Déjà-vus wie: „Das kenne ich von zu Hause.“

Leitungswasser braucht nur wenig Behandlung

Würde der Verstand allein entscheiden, spräche natürlich alles fürs Leitungswasser, das strengsten Vorschriften unterliegt und in Berlin vor allem dank glücklicher Umstände so gut ist, dass es keiner nennenswerten Behandlung bedarf: Im Schnitt ist es zwölf Jahre alt, wenn es an einem der 650 BWB-Brunnen ankommt. In der oberen Bodenschicht wurde es von Mikroorganismen gereinigt und in der biologisch toten Tiefe sterilisiert, so dass ihm keine Scheußlichkeiten wie desinfizierendes Chlor angetan werden müssen. Die für den Geschmack nützlichen Mineralien wie Calcium und Magnesium nimmt es auf seinem Weg durch den Boden auf. Im Wasserwerk wird es lediglich belüftet, um Sauerstoff darin zu lösen. Außerdem werden Eisen und Mangan herausgelöst, um die Rohre zu schonen.

Am Ende ist es dann einerseits relativ teuer, weil Land und Veolia bekanntlich Millionengewinne herausziehen. Andererseits ist es mit einem halben Cent pro Liter – inklusive Abwassergebühr – dann doch wieder ziemlich billig.

Vor Jahren haben die Wasserbetriebe ausrechnen lassen, dass der Umstieg aller Berliner von Flaschen- auf Leitungswasser jährlich fast 100 000 Tonnen CO2 vermeiden würde, weil für Leitungswasser keine Flaschen hergestellt und gereinigt werden und keine Lastwagen durch halb Europa fahren müssen. Aber Wasser kauft man eben auch mit dem Bauch.

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