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Spaß im Schloss. Kinderclown Richard Meininger alias „Ball Ricco“ trieb 1999 mit Roman Herzog (li.) im Schloss Bellevue Schabernack.

© picture-alliance / dpa

Gesellschaftliches Engagement: Aber hallo, Herr Präsident!

Seit zwei Jahrzehnten ehren Staatsoberhäupter zu Jahresbeginn engagierte Bürger im Schloss Bellevue. Am heutigen Donnerstag sind auch Geschichtsbewahrer und Visionäre zu Gast bei Joachim Gauck.

Der Clown, der Kindern Freude brachte, ließ auch den Präsidenten strahlen. Traditionell beginnt das Jahr seit 1994 im Schloss Bellevue mit dem Neujahrsempfang für Repräsentanten des öffentlichen Lebens und verdiente Bürger.

Am heutigen Donnerstagmorgen will Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt 60 von ihnen zusammen mit 220 Repräsentanten empfangen, darunter Dokumentare der DDR-Geschichte und Anwälte für Heim- und Pflegekinder. Er begrüßt sie, noch bevor er den Ministern die Hand schüttelt und lädt sie zum gemeinsamen Mittagessen ein. Dieser Morgen bietet viele Chancen, sich miteinander zu vernetzen und gemeinsam an der Verbesserung des Landes zu arbeiten. Denn so fröhlich es bei dem Empfang oft zuging, so ernst waren die Geschichten, die in den vergangenen 20 Jahren viele der verdienten Bürger im Gepäck hatten. Und so faszinierend.

Der frühere Pfarrer Hans-Peter Freimark hat schon in seinen Berufsjahren gut zusammengearbeitet mit Ehefrau Gisela, einer Religionspädagogin. Den Ruhestand verbringen sie höchst aktiv und engagiert in ihrer Heimatstadt Perleberg. Vielleicht ist es der Lysol-Geruch, vielleicht die Stimme Karl-Eduard von Schnitzlers in einem demagogischen Film über die frühere Grenze: Wenn Menschen das DDR-Geschichtsmuseum besuchen, werden sie manchmal überwältigt von ihren Erinnerungen. „Daraus ergeben sich tiefgreifende Gespräche mit wildfremden Menschen“, erzählt Gisela Freimark, „die könnten wir gar nicht führen, wenn wir unseren Beruf nicht gehabt hätten.“ Schon zu DDR-Zeiten agierten sie ausgesprochen vorausschauend. „Wir sammeln die Dokumente jetzt, nachher glaubt’s uns niemand mehr“, hat Hans-Peter Freimark immer gesagt.

Im Jahr 2000 bekam Johannes Rau von Linde Jahnke, die sich für ein besseres Verständnis zwischen Religionen und Nationalitäten einsetzt, einen Schal umgehängt.
Im Jahr 2000 bekam Johannes Rau von Linde Jahnke, die sich für ein besseres Verständnis zwischen Religionen und Nationalitäten einsetzt, einen Schal umgehängt.

© picture-alliance / dpa

Viele hätten ja auch keine Ahnung gehabt, wie genau drangsaliert wurde. Sie selbst haben es in der eigenen Familie erfahren. Die Kinder konnten erst nach der Wende Abitur machen. Seit 2006 bauen die Freimarks an dem Zentrum, das rund 20 Räume umfasst und nach Ostern wieder geöffnet wird (www.ddr-museum-perleberg.de).

Vielleicht treffen die beiden auch Herbert Scherer im Schloss. Der kommissarische Leiter der Berliner Anlauf- und Beratungsstelle zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der früheren Bundesrepublik und der DDR ärgert sich darüber, dass den früheren Heimkindern derzeit nicht geholfen werden kann, weil der Fonds leer ist. Dabei hat er oft erlebt, wie viel Trost man spenden kann, wo eigentlich nichts wiedergutzumachen ist. Die meisten ehemaligen Heimkinder, die zu ihm kommen, sind gescheiterte Existenzen, weil sie in ihrer Kindheit schreckliche Erziehungsmethoden miterlebten. Viele wünschen sich heute Einrichtungsgegenstände oder Fernseher, weil ihnen die eigene Wohnung so viel bedeutet.

Einem Mann, der die meiste Zeit als Obdachloser durchs Leben gegangen ist, hat er mal zu einer Harley Davidson verholfen – dessen tiefe Sehnsucht. Ein anderer erzählte immer wieder, wie er als Kind von einer Rheinfahrt ausgeschlossen wurde, nur weil er eine Nonne „blöde Kuh“ genannt hatte.Mit den Mitteln aus dem Fonds konnte er die Fahrt, deren Verlust sein ganzes bisheriges Leben verstimmt hatte, endlich nachholen. Auch in diesem Ehrenamt sind einfühlsame Gespräche von großer Bedeutung.

Alte Zeiten in Bonn. Hier erweist ein Gast Richard von Weizsäcker und seiner Ehefrau Marianne in der Villa Hammerschmidt die Ehre.
Alte Zeiten in Bonn. Hier erweist ein Gast Richard von Weizsäcker und seiner Ehefrau Marianne in der Villa Hammerschmidt die Ehre.

© Imago

Man kann die Vergangenheit nicht wiedergutmachen, aber lernen kann man. So wie das Ehepaar Freimark, das sprachliche Ähnlichkeiten bei Bildungsvorschriften der Nazis und der DDR-Kader offenlegt, engagiert sich auch Katja von Damaros dafür, die Lehren aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu übertragen. Die Kirchenratsvorsitzende der Evangelischen Gemeinde Dahlem arbeitet mit an dem Projekt „Martin-Niemöller-Haus: erinnern–lernen–handeln“. Das frühere Pfarrhaus dient schon lange als Friedenszentrum. Jetzt geht es darum, Spenden aufzutreiben für die Sanierung und ein Konzept zu erstellen, um die bisherige gesellschaftspolitische Arbeit zu verknüpfen mit Erinnerungen an Martin Niemöller und den Widerstand.

„Auch heute ist es wichtig, ,Nein’ sagen zu können, sind Werte gefragt“, sagt von Damaros, die im Zuge des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin kam und sich seit acht Jahren in der Gemeinde engagiert.

Typisch für den Empfang, der vor dem offiziellen Regierungsumzug ins Schloss Bellevue verlegt wurde und dort seit 1994 zelebriert wird, ist die Bandbreite der Geehrten. Diesmal ist aus Berlin auch Petra Schrödel dabei, die sich als Vorsitzende des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern ehrenamtlich auch für Pflegeeltern einsetzt. Aus Brandenburg wird Peter Schaller, der stellvertretende Kreisbrandmeister des Landkreises Elbe-Elster, erwartet, der intensiv bei den Hochwassern der vergangenen Jahre half.

Aus Potsdam kommen die Vorsitzende des Landesbehindertenbeirates, Marianne Seibert und die für Vertriebene engagierte Vorsitzende des Stiftungsrats der Stiftung Brandenburg, Ingrid Schellhaas. Sie alle stehen stellvertretend für viele, die sich in ihrer freien Zeit um Probleme kümmern – und dabei trotzdem oder erst recht fröhlich bleiben.

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