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Lesestündchen. Wolfgang Thierse mit Kreuzberger Grundschülern.

© Mike Wolff

Gesellschaftliches Engagement in Berlin: Im Auge des Löwen

Die Bürgerstiftung Berlin hat ihren 15. Geburtstag gefeiert. Dabei zeigte Wolfgang Thierse, wie man Kindern Lust auf Lektüre macht.

So finster und furchteinflößend kann nur ein Bilderbuchlöwe blicken. Aug’ in Aug’ steht er da mit dem tapferen Ritter, der dem Edelfräulein einen roten Handschuh aus dem Zwinger retten soll. Wolfgang Thierse hat einen eigenen Handschuh mit in die Fanny-Hensel-Schule nach Kreuzberg gebracht. Er liest den Dritt- und Viertklässlern Schillers Ballade „Der Handschuh“ vor, die Bilder dazu werden aus dem im Kindermann-Verlag erschienenen Buch auf die Leinwand projiziert.

Dann spricht der frühere Bundestagspräsident mit den Schülern über den Text. Fräulein Kunigunde kommt ganz schlecht weg. „Die hat den Handschuh extra in den Zwinger geworfen“, vermutet ein Kind. Ein anderes meint: „Wenn sie ihn so dolle liebt, hätte sie ja selber zu den Löwen gehen können.“ Applaus, im Hintergrund wartet das Kuchenbüfett. Heute wird der 15. Geburtstag der Bürgerstiftung gefeiert, deren Schirmherr Thierse ist.

Der Germanist nutzt jede Gelegenheit für das Lesen zu werben. „Ich selber war 16 oder 17, als wir unseren ersten Fernseher bekamen“, sagt er. Bis dahin hatte er reichlich Gelegenheit, das Kino im Kopf zu trainieren. Es geht an diesem Vormittag aber nicht nur um bewegte Bilder. Es geht auch um Wärme. Die habe die Bürgerstiftung mit ihren Lesepaten und anderen Projekten wie dem Kräutergarten in die Schule gebracht, sagt die engagierte Schulleiterin Dagmar Köppen. Sie hat mithilfe von Spenden eine Bibliothek mit 3000 Bänden aufgebaut, ganz wichtig an einer Schule, an der die meisten Schüler Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben.

Das Bilderbuchkino wird zweisprachig eingesetzt, in Türkisch oder Arabisch. Dass man den Kindern in ihrer eigenen Sprache begegnet, ist für Köppen auch ein Ausdruck der Wertschätzung, besonders wichtig in einer globalen Welt.

Die Vorsitzende der Bürgerstiftung, Heike von Joest, hat an dieser Schule vor Jahren einen Baum gepflanzt. Aber bei dieser Veranstaltung präsentiert sich die Managerin als Zahlenmensch. Eigentlich bräuchte eine Bürgerstiftung ein Grundkapital von zehn Millionen Euro, sagt sie. Derzeit stehen aber weniger als 600 000 Euro zur Verfügung. Die Steigerung, zum Beispiel durch das jährliche „Art Dinner“, sei in Berlin im Vergleich zu westdeutschen Großstädten mühselig. „Wir hoffen immer noch auf eine große Erbschaft.“ Damit könnte sich jemand ein sehr tätiges Denkmal setzen. „Wir machen das Leben benachteiligter Kinder jeden Tag ein Stück besser“, sagt von Joest.

Sie hebt auch die kreative Arbeit des „Think Tanks“ der Stiftung hervor, aus dem immer wieder Projektideen kommen. Mit 350 ehrenamtlichen Lesepaten ist die Stiftung in 125 Schulen und Kitas aktiv, Tendenz steigend. Neue Projekte heißen „Abenteuer Umwelt“ oder „Spielen lernen“. Die Kräutergärten des Sternekochs Kolja Kleeberg sind eh ein Hit, jetzt beginnen die Kinder auch, Tomaten anzubauen. Außerdem will die Bürgerstiftung das Bilderbuchkino künftig auch in Kliniken und Kinderhospizen einsetzen, um die kleinen Patienten abzulenken.

„Die Atmosphäre einer Gesellschaft wird bestimmt durch das, was Menschen tun“, erklärt Thierse sein langjähriges Engagement. Gerade in Berlin lohne der mühselige Aufbau des Stiftungsvermögens, da hier das Bürgertum systematisch ausgetrieben worden sei und erst langsam wieder heranwachse. „Im Osten wird es noch lange nichts zu vererben geben“, sagt er und erklärt auch seine Motivation. Die leuchtenden Augen, der Wetteifer, mit dem Kinder sich in ihren Kommentaren zu Geschichten und Gedichten überbieten, machen einfach Spaß: „Ich gehe jedes Mal glücklich nach Hause.“

- Weitere Informationen unter www.buergerstiftung-berlin.de

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