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GESICHT ZEIGEN: Die Vergangenheit der Väter

Karl-Otto Saur und sein Sohn haben ihre Familiengeschichte aufgeschrieben. Aus dem Buch über die NS-Zeit las jetzt auch Willy Brandts Sohn Matthias.

„Hier sitzen drei Söhne, deren Väter sehr unterschiedliche Antworten auf Hitlers Deutschland fanden“, sagt Uwe-Karsten Heye. Der ehemalige Regierungssprecher und Mitgründer des Vereins „Gesicht zeigen“, der sich gegen Fremdenfeindlichkeit engagiert, ist am Dienstagabend in den neuen Räumen des Vereins in der Koppenstraße am Ostbahnhof. Neben Heye sitzt der Journalist Karl-Otto Saur. Und der beginnt nun zu lesen, wie „ich langsam dahinter kam, wer mein Vater im dritten Reich gewesen ist.“ Es ist die erste Veranstaltung hier, sie gehört zu den Aktionswochen gegen Rassismus.

Saurs Vater, der ebenfalls Karl-Otto hieß, war als Hauptamtsleiter des NS-Rüstungsministeriums ein enger Mitarbeiter des NS-Architekten Albert Speer. 1945 wollte Hitler ihn noch zu Speers Nachfolger machen. „Er stand in Hitlers Testament. Ein deutsches Familienerbe“ heißt das Buch, das Saur junior gemeinsam mit seinem eigenen Sohn Michael über die dunkle Familiengeschichte geschrieben hat (Econ Verlag, 240 Seiten, 19,90 Euro).

Der andere Mann neben Heye hat von den dreien den prominentesten Vater, einen, der „über jeden Zweifel erhaben, aber auch ein Schattenvater“ war, sagt Heye: Willy Brandts Sohn, der Schauspieler Matthias Brandt, übernimmt bei der Lesung den Part von Michael Saur, Enkel der NS-Funktionärs. Matthias Brandt war beim ersten Lesen des Buches so fasziniert, dass er vergaß, seinen Sohn von der Schule abzuholen – besonders von der doppelten Vater-Sohn-Perspektive auf die Familiengeschichte, sagt der 46-jährige Brandt: „Es war notwendig, eine solche Geschichte mal in so einer Konstellation zu erzählen.“

Zu jeder der zwölf vorher festgelegten Kapitelüberschriften haben Vater und Sohn unabhängig voneinander einen Text geschrieben. Die Idee dazu stammt von Michael Saur, geboren 1967, der als Journalist und Schriftsteller in New York lebt und deshalb nicht zu der Lesung kommen konnte. „Ich wollte nicht einfach ein weiteres Täterkinderbuch schreiben“, sagt Karl-Otto Saur. Sein Sohn habe bemerkt, wie sehr ihn die Vergangenheit beschäftigte. „Ich habe mich nie getraut, meinen Vater darauf anzusprechen“, sagt Saur. Und auch der Vater redete selten darüber. Er war bei den Nürnberger Prozessen als Kronzeuge aufgetreten, zu einer Geldstrafe verurteilt und dann „entnazifiziert“ worden. Er habe zur „schweigende Generation“ gehört, sagt Uwe-Karsten Heye. Karl-Otto junior war 22, als sein Vater starb. „Eigentlich war ich alt genug, um ihn zur Rede zu stellen.“ Und er hadere noch heute mit sich, dass er es nicht getan habe.

Vielleicht liegt es an der eigenen Erfahrung, dass Saur junior großen Wert auf eine gute Beziehung zu seinem Sohn Michael legt. „Ihr Sohn geht ja nicht gerade zimperlich mit Ihnen um, aber seine Texte über Sie sind auch eine versteckte Liebeserklärung“, sagt Heye. Sein eigener Vater, ein Künstler, habe im dritten Reich eine Position in der Mitte zwischen Saur senior und Brandt senior gehabt und sei innerlich an seinen Zweifeln zerbrochen. Auch Uwe-Karsten Heye hat ein Buch über seinen Vater geschrieben.

Die Aktionswochen gegen Rassismus dauern noch bis zum 23. März. Weitere Infos unter www. gesichtzeigen.de

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