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Berlin: Geständnis bringt Kronzeugen in Not

Rudolf Schindler lächelt. Mal hierhin, mal dorthin.

Rudolf Schindler lächelt. Mal hierhin, mal dorthin. Sein Blick bleibt ungerichtet. Die Holzbänke im Gerichtssaal 500 in Moabit sind an diesem 18. Januar voll besetzt, die Stimmung angespannt. Doch fast ist es, als ginge den hageren Mann das alles hier nicht mehr viel an. Rechtsanwalt Hans Wolfgang Euler verliest eine lange Erklärung seines Mandanten. Nach über zwei Jahren in Haft für ihn, seine Ehefrau Sabine Eckle und drei weitere Angeklagte bricht Rudolf Schindler, beschuldigt, in den 80er Jahren in Berlin den "Revolutionären Zellen" angehört zu haben, das Schweigen.

Am heutigen Freitag wird sich der Blick der Angeklagten auf den Mann in der Zeugenbank richten. Nach vierwöchiger Pause soll im Gerichtssaal erstmals der Kampfsportlehrer und ehemalige Freizeitrevolutionär Tarek Mousli mit den überraschenden Ausführungen Schindlers konfrontiert werden. Mousli, auf dessen Aussage allein sich die Anklage gegen insgesamt sechs Beschuldigte in diesem Prozess stützt. Möglicherweise die Bundesanwaltschaft, auf jeden Fall aber die Anwälte der Angeklagten wollen hören, was er dazu zu sagen hat. Hat er gelogen? Hat er eine andere Erklärung für die offensichtlichen Widersprüche in seiner Aussage? Warum hat er berichtet, was er berichtet hat? Vier Wochen hatte Mousli Zeit, über die Widersprüche nachzudenken.

In seiner Erklärung vor vier Wochen hat sich der 59jährige Schindler nicht von den Revolutionären Zellen (RZ) distanziert. Nicht einmal von den Anschlägen, die ihm zur Last gelegt werden. Doch die Darstellung - wie sie die Bundesanwaltschaft von ihrem Kronzeugen übernommen hat - will er so nun nicht mehr stehen lassen. "Ich kann und werde nicht auf jede Falschaussage Tarek Mouslis eingehen, sondern nur auf die, die meines Erachtens prozessrelevant sind und die, die mich am meisten empören", ließ Schindler seinen Anwalt vortragen. Der Kronzeuge sage "in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit". Dessen "Angaben zur Zusammensetzung der Gruppen und dem Modus ihrer Zusammenarbeit" seien "komplett falsch". Zwar könne er, Schindler, die Absicht hinter vielen Lügen entschlüsseln. Doch sei es ihm ein Rätsel, "warum er Leute als Mitglieder angibt, die keine waren, und andere dafür rauslässt".

Nicht nur die Anwälte der Angeklagten sehen den Prozess jetzt an einer Wendemarke. Auch das Gericht hat sofort gehandelt, den Angeklagten Schindler und Eckle eine Strafmaßobergrenze zugesichert und beide sofort entlassen. Jetzt steht Aussage gegen Aussage. Nun können die Aussagen an anderen Indizien gemessen werden.

Die Widersprüche sind gravierend. Etwa für den Beschuldigten Matthias B. Dieser soll unter dem Decknamen Heiner Mitglied der RZ und an Sprengstoffanschlägen und Schusswaffenattentaten in Berlin beteiligt gewesen sein. Sagt Tarek Mousli. Jener "Heiner", mit dem Mousli nicht gemeinsam aktiv gewesen sein will, sei ihm nur ein einziges Mal bei einem Waldspaziergang 1989 begegnet. Nun sagt jedoch Rudolf Schindler: "Es hat 1989 keinen Waldspaziergang gegeben, an dem wir teilgenommen hätten. Es ist im Übrigen nicht sehr schlau von Tarek Mousli, sich ausgerechnet diesen Massenausflugsort für ein angeblich klandestines Treffen auszudenken." Vielleicht doch kein Zufall, dass Mousli zunächst einen anderen Mann als "Heiner" identifiziert hatte, bevor er ihn als Matthias B. erkannt hat.

Der Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) im Februar 1987 wird in der Anklageschrift insgesamt acht Personen zur Last gelegt. Mousli, den sechs Angeklagten und einem Unbekannten. Auch den Angeklagten Harald G. beschuldigte Mousli zunächst, vor Ort dabei gewesen zu sein. Diese Behauptung schwächt er später ab. Zurecht, wie sich zeigte. G. war zur Tatnacht in Polizeigewahrsam. Doch in seiner Erklärung berichtet Schindler nun: "Selbst einem Außenstehenden muss ins Auge springen, dass man für eine Aktion nachts, an einem nicht weiter einsehbaren, nicht bewachten und nicht kontrollierten Tatort in menschenleerer Gegend keine sieben Leute brauchen wird". Sie seien eine Minigruppe gewesen, und außerdem habe Mousli - entgegen dessen Aussagen - selbst den Sprengsatz gezündet.

Ein weiteres Beispiel, bei dem jetzt Aussage gegen Aussage steht, ist der Schusswaffenanschlag 1986 auf Harald Hollenberg, damals Leiter der Berliner Ausländerbehörde. Während die Anklage davon ausgeht, dass Schindler und Eckle diesen Anschlag ausgeführt haben, sagt Schindler nun, er sei beteiligt gewesen, geschossen habe jedoch eine Frau. "Diese Frau war nicht Sabine Eckle."

Schindler und Eckle sind aus der Haft entlassen worden. Der Angeklagte Matthias B. ist aus familiären Gründen inzwischen haftverschont. Doch zwei der Angeklagten in diesem Verfahren, in dem stellvertretend die Geschichte der RZ aufgearbeitet werden sollte, sind noch immer in Haft. Besonders sie werden mit Spannung darauf warten, was Mousli heute zu sagen hat.

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