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Fotos: Georg Moritz; privat (2)

© Georg Moritz

Gesund abnehmen: Berliner, die es geschafft haben: Ein Zentner Unterschied

Roger Rotzinger sagt, Essen sei seine Sucht gewesen. Er hat sie besiegt: In 18 Monaten verlor er 50 Kilo.

Von Susanne Leimstoll

Da gab es eine Situation, als er in einem Rennporsche auf dem Nürburgring ein paar Proberunden freies Training mitfahren sollte. Mit vereinten Kräften pressten die Kollegen ihn in den einzig verfügbaren Oversize-Overall. Als er sich damit, prall wie eine Wurst, auf den Beifahrersitz schob und den Oberkörper in Sitzposition bringen wollte, bekam er keine Luft mehr. Ging nicht, die Tour fand nicht statt. Während Roger Rotzinger die Fotos am Computer anklickt, lacht er beinahe verlegen. Sie zeigen einen sehr dicken Mann mit großem Kopf und gewaltigem Doppelkinn, einen Mann mit mächtigem Bauch. Einen Mann, dessen Seele leidet.

Damals, im April 2011, wog Roger Rotzinger bei 1,78 Metern Körpergröße um die 130 Kilo. „Wahrscheinlich waren es 135. Ich hab’ mich nicht mehr gewogen.“

Wer ihn heute besucht in Tiergarten, muss vor der Wohnungstür erst einmal über seine Sportschuhe steigen. Im Flur steht ein im besten Sinne unauffälliger Mann: trainierte Figur, straffe Haltung, sportlicher Typ. Nebenan im Büro holt er ein Diagramm auf den Bildschirm, eine Kurve, die steil bergab führt. Roger Rotzinger, 48 Jahre, hat sein Gewicht in 18 Monaten von 130 auf 85 Kilo reduziert.

Früher hatte er unkontrolliert gegessen, bei Frust wie bei Freude. Um sich rundum gut zu fühlen brauchte er Essen, Süßes, Fettes. „Das war nichts als pures Suchtverhalten.“ Mit Hungerkuren zwischendurch bewies er sich und anderen, dass er auch diszipliniert sein, dass er lange ohne Nahrung auskommen konnte. „Der Wunsch abzunehmen war ja immer da.“ Bis vor ein paar Jahren war er dick und gesund. Dann stellte seine Ärztin Bluthochdruck fest und schickte ihn zur Ernährungsberatung des Richtig Essen Instituts. Er lernte zu erkennen, was er isst, lernte, beim Einkauf kritisch zu sein, die Produktanalyse auf der Verpackung zu lesen, mit System dreimal täglich zu essen. Roger Rotzinger, Kaufmann mit Bürojob und ansonsten häufig auf Reisen, änderte sein Leben. 

Den neuen Ernährungsplan zog er stur durch, zählte keine Kalorien, achtete schlicht auf Vollwertkost, mehr Gemüse, wenig Fett, kaum Zucker. Aß keine Schokolade mehr, Pellkartoffeln statt Pommes, Geflügel statt Speck. Plötzlich hatte Genuss nichts mehr mit Menge zu tun.

Hinzu kam verordnete Bewegung. Erst funktionierte auf dem Laufband im Fitnessstudio nur das Gehen, mit 120 Kilo konnte er schon ein bisschen rennen. Man kann den 48-Jährigen heute ständig beim Joggen treffen oder beim Spazierengehen. Er sucht sich einen Kiez aus in Berlin, und dann geht und geht und geht er und erläuft sich die Stadt.

Seine Hymne ist „Dicke“ von Marius Müller-Westernhagen: „Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin / Denn dick sein ist ’ne Quälerei / Ich bin froh, dass ich so’n dürrer Hering bin / Denn dünn bedeutet frei zu sein . . .“ Das böse Lied nimmt Roger Rotzinger als Ansporn. Er sagt: „Ich habe ein völlig neues Lebensgefühl.“ Kräftig, leistungsfähig – und wieder begehrenswert. Seine neue Sucht kriegt keiner mit: Er steigt täglich auf die Waage.

Die Fahrt im Porsche kann er in diesem Monat nachholen. Er passt jetzt in Größe 46/48. Heute sagen die Kollegen beim Arbeitsessen zur Kellnerin allenfalls: „Und bringen se dem Herrn noch die Tabletten gegen Appetitlosigkeit.“ Da lacht Roger Rotzinger dann gerne mit.

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