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Lebt es sich vegan tatsächlich gesünder?

© Mike Wolff

Gesund durch tierischen Verzicht?: In Berlin floriert der vegane Lifestyle

Vom veganen Supermarkt bis zum veganen Schuhladen: Wer dem veganen Lifestyle frönen will, der ist in Berlin an der richtigen Adresse. Was er verspricht, ist ein gesünderes Leben. Zahlt sich der tierische Verzicht also aus? Ein Rundgang.

So viele Nüsse… Cashewkerne, Haselnüsse, Mandeln, Erdmandeln, Erdnüsse, püriert, im Glas, als Brotaufstrich. Die Nusscremes sind nicht wegzudenken aus dem Sortiment von Veganz, Berlins erstem veganen Supermarkt in der Schivelbeiner Straße – in, natürlich, Prenzlauer Berg. Nicole Just wird hier gegrüßt von allen Seiten. Vor kurzem hat sie ein veganes Kochbuch, „La Veganista“, geschrieben, das es nach wenigen Wochen schon zur zweiten Auflage gebracht hat. Zahlen mag Nicole Just nicht nennen, doch das nette Lächeln des Ladenchefs zeugt davon, dass das Erscheinen ihres Buches seinem Umsatz nicht unbedingt geschadet hat.

Just grüßt freundlich zurück und begibt sich zielstrebig auf die Suche nach dem Kokosblütenmus. Die junge Frau weiß ziemlich genau, was sie will. Vor allem, was sie nicht will. Seit vier Jahren verweigert sie sich allen Produkten, die auch nur entfernt mit Tier zu tun haben. Das heißt auch Leder, Wolle, Seide, selbst viele Kosmetika sind für sie tabu.

Klingt schwierig, ist es aber nicht – zumindest wenn man in Berlin lebt. Die Schivelbeiner Straße wird auch „Vegan Avenue“ genannt. Neben dem Supermarkt hat ein veganer Schuhladen eröffnet, der nur Kunstleder im Sortiment hat. Ein paar Meter weiter wirbt eine vegane Boutique damit, dass alles fair gehandelt sei, tierisch unbedenklich und zudem noch nachhaltig produziert. Just schwärmt von den Bambusstoffen – die allerdings ihren Preis haben. Ein T-Shirt kann hier gut und gerne 40 Euro kosten, aber auf dem Wühltisch findet Nicole Just auch einige Schnäppchen.

Bewusst verzichtet: Nicole Just hat ein veganes Kochbuch geschrieben.
Bewusst verzichtet: Nicole Just hat ein veganes Kochbuch geschrieben.

© Mike Wolff

Zum tierischen Verzicht inspiriert hat die 30-Jährige ein Buch namens „Skinny Bitch“. „Darin wird knallhart geschildert, wie die Tiere in der Massentierhaltung zur Schlachtbank geführt werden“, sagt die zierliche blonde Frau. Das sei ihr sehr unter die Haut gegangen. „Danach konnte ich kein Fleisch mehr essen“, sagt sie. „Das Steak auf dem Teller vom Schwein beim Schlachter zu trennen, war unmöglich.“ Sie änderte ihr Leben radikal: kein Fleisch, keine Milch, keine Eier mehr. Erst wurde der Kühlschrank ausgemistet, dann Schminke und Kleidung. Auch ihre Familie konnte daran nichts ändern, obwohl der Opa Metzger und Jäger war. „Ich wurde auf Fleisch getrimmt“, sagt sie. Doch Nicole Just blieb hartnäckig, bis die Familie kapitulierte und sie mit ihrem neuen Lebensstil nach ihren moralischen, ethischen und ökologischen Vorstellungen in Ruhe ließ.

In keiner anderen deutschen Stadt floriert der vegane Lifestyle so wie in Berlin. Auch über die Grenzen Prenzlauer Bergs hinweg. Just spricht von einem veganen Mekka. In Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain, Charlottenburg, Neukölln – eigentlich überall findet man heute vegane Küche. In der Boxhagener Straße gibt es sogar „Vöner“ zu probieren, einen veganen Döner. Was hübsch klingt, ist im Grunde genommen nichts anderes als Falafel im Brot, mit Gemüse, Salat und veganer Sauce. „Da darf dann weder Ei noch Milch drin sein“, sagt Just, die 2005 aus Mecklenburg-Vorpommern nach Berlin kam und inzwischen als Onlineberaterin, auch für den Tagesspiegel, arbeitet.

Leben Veganer gefährlich?
Leben Veganer gefährlich?

© PhotoEd - Fotolia

Den Rundumschlag gibt es seit ein paar Wochen bei Dr. Pogo am Karl- Marx-Platz in Neukölln. Hier geben Fachleute Ratschläge zu Lebensmitteln, Haushaltsmitteln, Accessoires und Süßigkeiten. Denn ganz ohne Risiken ist die vegane Lebensart nicht, sagt Ernährungsberaterin Laura Baron. Es sei wichtig, sich intensiv mit der Auswahl der Lebensmittel zu beschäftigen. „Auch wenn viel durch Kohlgemüse zu ersetzen ist, kommt es bei den Vitaminen B12 und B2 am häufigsten zu Mangelerscheinungen“, sagt sie. Die beiden Vitamine unterstützen das Nervensystem und sind wachstumsfördernd – enthalten in Fisch, Fleisch und Milchprodukten. All das, was der Veganer von sich weist. Da hilft nur Sauerteigbrot – oder Tabletten. Nicole Just entscheidet sich, wenn überhaupt, für Letzteres. Die Warnungen der Ärzte findet sie übertrieben, die Vorteile überwiegen für sie: Ihre Haut sei schöner geworden, die Müdigkeit nach dem Essen passé.

Doch vegan essen heißt nicht automatisch, sich gesund zu ernähren. Am Helmholtzplatz wirbt das „Vego“, angeblich das einzige vegetarisch/vegane Fast-Food-Restaurant der Stadt, damit, deftige Burger zu führen. Die kleine Variante des „Vego-Burgers“ kostet 4,60 Euro und schmeckt gewöhnungsbedürftig – ebenso wie die Verknüpfung der Worte „deftig“ und „vegan“.

Überhaupt lassen sich die Gemüseradikalisten ihre Lebensweise einiges kosten. Im veganen Supermarkt Veganz, der kürzlich in Friedrichshain in der Warschauer Straße die zweite Filiale eröffnet hat, gibt es vorne eine Bäckerei, hinten die Kosmetik, die tierversuchsfrei hergestellt ist. Hier kann der Tierfreund sogar veganes Hundefutter kaufen. „Tofurky“ nennt sich die Tiefkühlpizza mit Tofuwürstchen aus Amerika, die neun Euro kostet. „Noch“, meint Just, in ein paar Jahren werde das alles günstiger sein. „Mit steigendem Angebot und Nachfrage sinkt schließlich auch das Preisniveau.“ Sie gibt in der Woche etwa 70 Euro für den Einkauf aus – für zwei Personen. Auch, weil sie regelmäßig kocht. Alle 89 Rezepte ihres Buches hat sie daheim getestet, der Freund hatte keine Wahl. Wer da nicht so viel Glück hat, kann inzwischen sogar auf www.berlin-vegan.de nach gleichgesinnten Zimmergenossen suchen.

Lesen Sie hier den Rundgang durch die Fleisch-Restaurants in Berlin.

La Veganista, Gräfe-und-Unzer-Verlag, 192 Seiten, 16,99 Euro. Ihren Blog finden Sie unter: www.vegan-sein.de

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