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Gesundheitsdienst: Lücken im Kinderschutz

Amtsärzte und Stadträte warnen vor Personalkürzung im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Der könne seinen vielen Aufgaben nicht Folge leisten.

Von Sabine Beikler

Die Aufgabenliste des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) ist lang: Einschulungsuntersuchungen, Hausbesuche bei Erstgeburten, Vorsorgeuntersuchungen, der sozialpsychiatrische Dienst, gutachterliche Tätigkeiten, die Gesundheitsaufsicht, Behandlungen im Pandemiefall, Angebote in Beratungsstellen für Krebskranke und Menschen mit Behinderungen und die Krankenhausaufsicht. Am Dienstag hat der Senat ein Personalkonzept für den ÖGD verabschiedet, das auf massive Kritik bei Stadträten und Amtsärzten stößt: Andreas Beyer, Sprecher der Berliner Amtsärzte, spricht von „Augenwischerei“. Die vorgelegten Zahlen seien weder realistisch noch mit den Bezirken verhandelt worden.

Laut Senatskonzept gibt es zurzeit 1755 Stellen im ÖGD, bis 2013 sollen es 1844 Stellen werden. Und bis 2015 ist eine Zielzahl von 1905 Stellen vorgesehen. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren hatte der ÖGD noch rund 2000 Beschäftigte in Berlin. Der Steglitz-Zehlendorfer Amtsarzt Beyer hat errechnet, dass „seit 2003 der ÖGD um rund 19 Prozent verkleinert wurde“. Trotzdem sind neue gesetzliche Pflichtaufgaben für den Kinderschutz hinzugekommen.

Als Frühwarnsystem vor Vernachlässigungen oder Misshandlungen von Kindern setzt der Senat auf Hausbesuche des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes (KJGD) bei Erstgeburten. Berlinweit wurden bis Ende des Jahres aber nur rund 48 Prozent der Familien mit Nachwuchs besucht, da ausreichend Personal fehlt. Hinzu kommt das im Kinderschutzgesetz verabschiedete verbindliche Einladungswesen für die Vorsorgeuntersuchungen ab der U4 im dritten Monat bis zum zehnten Lebensjahr. Erscheinen die Eltern nach Aufforderung nicht bei der Untersuchung, wird der KJGD eingeschaltet. Die vom Land zugesagten 1,1 Millionen Euro für je zwei Stellen pro Bezirk, eine im KJGD und eine im Jugendamt, sind bis jetzt noch nicht verteilt worden.

In einer dem Tagesspiegel vorliegenden Stellungnahme der Berliner Amtsärzte zum Personalkonzept heißt es: Mit 1844 Stellen bis 2013 „lassen sich die gesetzlich geregelten Aufgaben im Bereich des ÖGD nicht erfüllen“. Das Land müsse sich die Frage stellen, wie viel der öffentliche Gesundheitsdienst künftig leisten solle und könne.

Die Zielzahlen des Senats sind auch für Gesundheitsstadträtin Sibyll Klotz (Grüne) aus Tempelhof-Schöneberg „reiner Etikettenschwindel“: Die Gesundheitsverwaltung habe es nicht für nötig befunden, diese Zahlen einmal mit dem tatsächlichen Personalbedarf für die einzelnen Aufgabenbereiche und die Einwohnerzahl jedes Bezirkes zu vergleichen. In Tempelhof-Schöneberg gibt es zurzeit 102 Stellen im ÖGD; insgesamt fehlen dort laut Klotz 30 Stellen. Der Spandauer Gesundheitsstadtrat Martin Matz (SPD) wiederum fordert eine Garantie, dass ÖGD-Stellen nicht weiter abgebaut werden: „Was passiert denn, wenn der nächste Doppelhaushalt verabschiedet wird?“, fragt nicht nur er sich.

Ursprünglich hatten Stadträte, Amtsärzte und Gesundheitsverwaltung ein 36 Seiten dickes „Modellgesundheitsamt“ erarbeitet. Diese Vorlage ist dem Parlament aber nicht vorgelegt worden. Stattdessen wurde daraus ein fünfseitiges Personalkonzept. „Dieses Konzept präjudiziert das Wesen eines Modellgesundheitsamtes“, sagt Staatssekretär Benjamin Hoff. Man habe anerkannt, welch „herausragende Bedeutung“ der ÖGD habe. Hoff gibt zu, dass der ÖGD „bis an die Schmerzgrenze“ arbeite. Aber ab 2013 werde er „weiterentwickelt“. Was der Linkspolitiker nicht sagt: Der Personalabbau im öffentlichen Dienst geht weiter. Es wird nur noch darüber diskutiert, ob die bestehenden 108 000 Stellen bis 2013 auf 100 000 oder auf 93 500 verringert werden müssen. Das würde auch den ÖGD betreffen.

In dem Personalkonzept steht, dass bis 2013 etwa 155 Stellen im ÖGD altersbedingt wegfallen. „Diese Stellen können von außen nachbesetzt werden, ohne auf den Stellenpool zurückgreifen zu müssen. Das ist ein Erfolg“, findet SPD-Gesundheitspolitikerin Stefanie Winde. Das sei mit der Finanzverwaltung vereinbart worden, bestätigt Sprecher Daniel Abbou. Am Montag wird der Gesundheitsausschuss über das ÖGD-Konzept diskutieren. Sabine Beikler

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