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Kinder im Krankenhaus dürfen nun doch länger besucht werden.

© picture alliance / Matthias Balk

Update

Gesundheitsverwaltung gesteht Fehler ein: Kinder dürfen wieder länger als eine Stunde Besuch pro Tag bekommen

Krankenhäuser dürfen Patienten nur noch eine Stunde Besuch pro Tag erlauben. Kinder sind aber mittlerweile davon ausgenommen.

Wenn Eltern ihre Kinder im Krankenhaus besuchen müssen, ist das für Familien schon in Nicht-Pandemiezeiten eine enorme Belastung. Viele Eltern wollen ihren Kindern in dieser Ausnahmesituation beistehen, Krankenhäuser bieten Rooming-in an, also die Mitaufnahme der Eltern.

Doch für familienfreundliche, auf das Kinderwohl bedachte Konzepte ließ die Pandemie zuletzt wenig Spielraum: Der neuen Besuchsregelung des Senats zufolge, die am Sonnabend in Kraft treten sollte, durften Kinder nur noch an einer Stunde pro Tag von einer Person Besuch bekommen – wie alle anderen Patienten auch.

Demnach waren von dieser Regelung explizit Schwerstkranke und Sterbende ausgenommen, ebenso Neugeborene und ihre Mütter. Kinder hingegen, auch Kleinkinder, waren bei den Ausnahmen nicht aufgeführt.

Am Samstagabend ruderte die Gesundheitsverwaltung schließlich zurück: Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sollten doch länger besucht werden dürfen. Es habe sich um einen „bedauerlichen Übertragungsfehler“ gehandelt, schrieb Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) in einem Brief an die Krankenhäuser, der der Deutschen Presse-Agentur vorlag. „Es war nicht beabsichtigt, die o.g. strenge Besuchsregelung ohne Rücksicht auf das Alter der Patientinnen und Patienten zu treffen“, hieß es darin weiter.

Kalayci bat die Krankenhäuser, auch im Vorgriff auf die überarbeitete Verordnung die Besuche bei Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen. Kliniken hätten keine Sanktionen zu befürchten.

Krankenhaus-Aufenthalt für Kinder schwere Krise

Zuvor hatten die Pläne der Gesundheitsverwaltung heftige Kritik unter Ärzten und Experten ausgelöst: „Ich bin schockiert“, sagte Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der auch Dozent an der Universität von Heidelberg ist und Ratgeberbücher schreibt. „Jeder Krankenhaus-Aufenthalt ist für Kinder eine schwere Krise, da müssen sie sicher sein können: Meine Eltern sind bei mir.“ Denn für ihren Heilungsprozess sei es das Wichtigste, dass sie sich wohlfühlten.

Aber 23 Stunden am Tag ohne Eltern – für Renz-Polster ist das „unmöglich“: „Eine Kontaktaufnahme über Telefon oder Videotelefonie ist vielleicht bei älteren Kindern eine Möglichkeit, wobei auch diese unter der Abwesenheit der Eltern leiden.“ Doch für alle Kinder im Vorschulalter sei diese Regelung „brutal“.

Auch, weil sie noch kein ausgeprägtes Zeitgefühl hätten und die Information, dass Papa in 23 Stunden wiederkommt, sie nicht trösten könne. „Ich sehe nur Nachteile, für alle: Kinder, Eltern, Personal.“ Für letztere sei diese Situation ebenfalls äußerst belastend.

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Was sagten die Krankenhäuser zu den geplanten Regelungen? „Wir behalten unsere aktuelle, leider sehr strenge, aber notwendige Besuchsregelung bei“, sagte ein Sprecher des Klinikkonzerns Vivantes. Das Unternehmen hatte bereits vor der neuen Senatsverordnung seine hausinternen Regelungen verschärft und lässt seit Montag gar keine Besucher mehr in die Kliniken.

Das mache die „schnelle Ausbreitung des Coronavirus erforderlich“, erklärte der Sprecher. Allerdings: „Ausnahmen für das Besuchsverbot gelten nach individueller Rücksprache mit dem behandelnden Ärzteteam für Schwerstkranke, Menschen, die palliativ betreut werden, und Kinderstationen.“

Auch bei der Charité hieß es: „Für Eltern von stationär betreuten Kindern unter 16 Jahren sowie für Angehörige von Schwerstkranken sind nach Rücksprache mit dem Stationspersonal Ausnahmen möglich.“

[Lesen Sie weiter mit Tagesspiegel-Plus: „Die Pandemie wird bei den Kindern Spuren hinterlassen“ - Kinderarzt Herbert Renz-Polster über die Maskenpflicht]

Dürfen die Krankenhäuser also über die Senatsverordnung hinaus eigenmächtig entscheiden? Laut Vivantes schon: Die Verordnung ermögliche es, „Abweichungen von der Regel geltend zu machen“, sagte der Unternehmenssprecher. „Wir nehmen da eine Ausnahmeregelung für die Verordnung für diese drei Bereiche vor. Über die Besuchsdauer auf Kinderstationen entscheidet das behandelnde Ärzteteam im Einzelfall.“

Zwar steht in der Verordnung des Senats der Hinweis, dass der Leitung des Krankenhauses „mit Genehmigung des Gesundheitsamtes die Möglichkeit weiterer stations- und bereichsbezogener Einschränkungen“ obliege. Doch bei der Ausweitung der Besuchszeiten handelt es sich ja um eine Lockerung – nicht um eine Einschränkung.

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Bei der Senatsgesundheitsverwaltung hieß es zuvor auf mehrmalige Nachfrage lediglich: „Die Regelung gilt für alle Patientinnen und Patienten. Ausnahmen sind in der Pressemitteilung aufgeführt.“ Die Krankenhäuser könnten weitergehende Maßnahmen mit Genehmigung des Gesundheitsamtes treffen. Warum aber wurden dann Kinder, für die die Krankenhäuser selbst ohnehin Ausnahmen machen, nicht explizit in die Gruppe der Ausnahmen aufgenommen? Dazu äußerte sich die Senatsverwaltung nicht.

„Das muss rückgängig gemacht werden“, forderte Kinderarzt Renz-Polster – und hatte schließlich Erfolg. „Das ist reiner Aktionismus. Wenn eine Verwaltung ihren eigenen Regeln nicht vertraut, dann muss sie diese überdenken.“ Also, meint der Experte, lieber zunächst bei den Hygienemaßnahmen nacharbeiten, eventuell zusätzlich Masken zur Verfügung stellen. „Aber wenn man so rücksichtslos an den Menschen vorbei Regeln etabliert, verspielt man das Vertrauen der Bevölkerung.“

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