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Gewalt gegen Homosexuelle: Hass gegen die Liebe

Lesben und Schwule werden oft Opfer von Angriffen. Wie oft, weiß niemand – die Taten werden statistisch nicht gesondert erfasst. Wie tolerant ist Berlin wirklich?

Die nächtliche Fahrt mit dem Fahrrad endete für den 41-jährigen Familienvater mit einem doppelten Kieferbruch und Prellungen im Gesicht. Gleich eine ganze Gruppe von Jugendlichen, die sich offenbar auf die Lauer gelegt hatte, prügelte auf ihn ein, weil sie ihn für schwul hielten. Tatort dieses Falles aus dem vergangenen Sommer ist der Volkspark Friedrichshain, bekannt als Treffpunkt von Homosexuellen. Zeugen wollen die Täter gehört haben, wie sie "Schwule Säue!" riefen, ehe sie unerkannt entkamen.

Es ist einer von vielen Fällen homophober Gewalt in Berlin, die sich offenbar häufen. Ende Oktober traf es, wie berichtet, ein lesbisches Pärchen in Kaulsdorf, das von zwei Männern angegriffen wurde. Kurz zuvor wurde am U-Bahnhof Hallesches Tor in Kreuzberg ein Schwuler zusammengeschlagen; er kam mit einem Kieferbruch ins Krankenhaus. Verlässliche Zahlen, ob die Straftaten zunehmen, gibt es aber nicht. Der Grund dafür: Sie werden von der Polizei nicht gesondert erfasst. Homophobe Gewalt wird, anders als etwa antisemitische Gewalt, unter "Hasskriminalität" zusammengefasst. Und deren Zahl hat sich nach der Statistik zumindest nicht erhöht.

Das Projekt gegen homophobe Gewalt, Maneo, kritisiert das: "Statt die Opfer zu fragen, ob sie wegen ihrer sexuellen Identität angegriffen wurden, müsste die Polizei nach der Motivation der Täter fragen", sagt Jens Brodzinski, Sprecher von Maneo. Aus Angst oder aus der Absicht, sich nicht selbst outen zu wollen, würden viele Opfer nicht dazu Stellung nehmen, ob sie schwul oder lesbisch seien. Daher sei die Dunkelziffer bei diesen Gewalttaten sehr hoch. Maneo schätzt sie auf 90 Prozent.

Eine Zahl, die die Polizei nicht bestätigt. Andererseits soll sich an dem Grundsatz, homophobe Übergriffe nicht als solche zu registrieren, nichts ändern. "Es ist politisch nicht gewollt, Minderheiten zu erfassen", sagt Nicola Rothermel, Sprecherin der Innenverwaltung. Damit solle einer möglichen Stigmatisierung oder Diskriminierung der Opfer vorgebeugt werden. Die Berichte über diese Straftaten nehmen indes zu - das Spektrum reicht von Körperverletzung bis Sachbeschädigung. So wurde im Spätsommer das Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschädigt. Und auch die subjektiv empfundene Gewalt nimmt zu. Suchen Betreiber von Schwulenclubs einen Standort, kommen nur gut beleuchtete, viel frequentierte Straßen in der Nähe einer U- oder S-Bahn-Station infrage, sagt ein Clubbetreiber. Alles andere bedeute ein zu hohes Sicherheitsrisiko. Die meisten Gewaltvorfälle verzeichnet Maneo übrigens in Schöneberg.

Die scheinbar paradoxe Situation - tolerante Metropole mit selbstbewusstem Christopher Street Day, schwulem Stadtoberhaupt und einer Aids-Gala als Top-Ereignis der Gesellschaft - erklärt Bodo Mende, Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbandes, so: "Offenbar haben Teile der Bevölkerung die Entwicklung zu mehr Gleichberechtigung für Homosexuelle nicht mitgemacht." Neben rechtsgerichteten Jugendlichen betreffe das vor allem Jugendliche aus Migrantenfamilien. "Dort müssen wir mit unserer Aufklärungsarbeit ansetzen", sagt Mende, "dazu brauchen wir aber die Migrantenverbände." Diese haben jetzt in einer Stellungnahme erklärt, "dass die sexuelle Orientierung Privatsache ist". Und weiter: "Ob wir etwas gutheißen oder nicht, wird und kann die Freiheit des Einzelnen in keiner Weise beschränken."

Doch das passiere immer wieder, sagen Betroffene. "Berlin ist bei weitem nicht so tolerant, wie viele denken. Sobald man aus dem Raster der Heterosexualität herausfällt, bekommt man oft Dinge zu hören, die die persönliche Integrität infrage stellen", sagt Ralph Zachrau vom Projekt "Aha" aus Kreuzberg. Wenn er als Mann in - keineswegs sexuell provozierender - Frauenkleidung unterwegs sei, bekomme er tagsüber auf dem Mehringdamm meist von Migranten Sätze zu hören wie "Schwuler, ich töte dich!". Passanten würden oft weghören. So litten auch Trans- sowie Bisexuelle unter verbaler und körperlicher Gewalt, sagt er. Betroffene aller Gesellschaftsschichten würden sich oftmals erst gar nicht outen, weil sie diskriminierendes Verhalten zu befürchten hätten.

Er selbst kenne einen Fall, bei dem ein Helfer von einem verletzt auf dem Boden liegenden Menschen abließ mit den Worten: "Ach, ist doch nur eine Transe."

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