zum Hauptinhalt
Berlin trauert um Jonny K. - so wie hier am Tatort am Alexanderplatz.

© dapd

Gewaltexzess am Alexanderplatz: Abschied von Jonny K.

Am Sonntag wird nach buddhistischer Tradition eine Trauerfeier für Jonny K., das Todesopfer vom Alexanderplatz, begangen - auch mit einer öffentlichen Zeremonie. Einer der Täter soll sich in die Türkei abgesetzt haben. Wichtig könnte werden, ob er die deutsche oder die türkische Staatsangehörigkeit besitzt.

Eine Woche nach der tödlichen Prügelattacke auf dem Alexanderplatz stehen Mitschüler noch immer fassungslos und still vor dem Bild des getöteten Freundes Jonny K. Sie schreiben über ihre „Trauer“, „Wut“, „Abscheu“ und „Hoffnung auf eine harte Bestrafung der Täter“ im Foyer der Oscar-Tietz-Schule in Marzahn. Eine Kerze brennt neben dem ausgelegten Kondolenzbuch und dem Porträt, das aus der Schülerakte kopiert worden ist. „Geboren am 7. 4. 1992 in Khon Kaen (Thailand), Gestorben am 15.10.2012 in Berlin“, lautet die Unterzeile.

Jonny K. wollte an der Schule in der Marzahner Chaussee in zwei Jahren sein Fachabitur ablegen und danach eine kaufmännische Berufslaufbahn einschlagen. Er war erst im August gewechselt und fiel offenbar nicht weiter auf unter den 2000 Schülerinnen und Schülern. Jeden Morgen ist er von Spandau nach Marzahn gefahren. Im Kondolenzbuch heißt es, dass Jonny sich oft darüber amüsiert habe, „tief im Osten“ gelandet zu sein. Aber hier fühlte er sich offenbar wohl. Er fand Freunde und seine Klassenlehrerin erinnert an seine „Unbekümmertheit“, mit der er die Klasse bereichert habe. Gern erinnere sich die Klasse an sein Lachen und die kreativen Begründungen fürs Zuspätkommen.

Gleich nach dem Bekanntwerden der Tat war die Klasse gesammelt zum Alex gefahren, um Blumen am Tatort abzulegen. In einer Schweigeminute gedachte die gesamte Schule ihres toten Mitschülers. Der stellvertretende Schuldirektor Dimitri Livadiotis berichtet von langen Gesprächen in den Klassen: „Dabei erzählten die meisten Jugendlichen davon, schon einmal selbst Gewalttaten beobachtet zu haben oder sogar Opfer davon geworden zu sein.“ Offensichtlich gehörten solche Ereignisse in vielen Teilen Berlins zum Alltag, sagt Livadiotis. Die Erfahrungen decken sich mit einer im Vorjahr veröffentlichen Studie zur Jugendgewalt, wonach jeder sechste Berliner Jugendliche bereits einmal Opfer von Kriminalität geworden ist. 17,9 Prozent der damals befragten Jugendlichen gaben an, sie seien beraubt, erpresst oder geschlagen worden. Im Bundesdurchschnitt waren es 16,8 Prozent. Allerdings gehen Kriminologen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen. Erfahrungsgemäß würden nur etwa nur ein Viertel der Taten bei der Polizei angezeigt. Dreiviertel der Delikte bleiben demnach unentdeckt.

Es wird eine öffentliche Trauerfeier für Jonny K. geben

In der Gemeinde des Opfers liegt ein Kondolenzbuch aus.
In der Gemeinde des Opfers liegt ein Kondolenzbuch aus.

© Claus-Dieter Steyer

Die Mahnung des Bundespräsidenten, bei solchen Fällen wie dem Gewaltexzess am Alex „einzuschreiten“, will die Polizei aber nicht als Aufruf zum körperlichen Einsatz verstanden wissen. Die Polizei sagte dazu, dass sich Zeugen nie selbst in Gefahr bringen sollten. Helfen könne aber jeder, indem er die Polizei alarmiert, sich das Aussehen oder auch den Fluchtweg der Täter merkt. „In manchen Situationen kann es auch helfen, das Opfer direkt anzusprechen und ihm Hilfe anzubieten“, sagte ein Polizeisprecher. Sinnvoll sei zudem, schon zu Beginn einer sich anbahnenden Gefahrensituation die Polizei zu rufen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zweifelt am Sinn einer verstärkten Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen. Nach der tödlichen Prügelattacke war eine Sicherheitsdebatte entbrannt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte gefordert, an gewaltträchtigen Orten mehr Kameras zur Überwachung einzusetzen. Mehr Kameras seien kein Allheilmittel, um die Gewalt an öffentlichen Plätzen zu bekämpfen, erklärte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Bernhard Witthaut, am Montag. Zwar erleichterten die Aufzeichnungen die Fahndung. Wie stark sie allerdings der Abschreckung dienten, sei zweifelhaft. Wichtiger sei eine Verstärkung der Polizeipräsenz.

Die Trauerfeier für K. wird am kommenden Sonntag stattfinden. „Zunächst im engsten Familienkreis und ab 15 Uhr dann auch öffentlich“, sagt seine Schwester Tina K. Das Gedenken wird am Fürstenbrunner Weg 10-12 in Westend abgehalten. Bei der öffentlichen Zeremonie würden Freunde und Verwandte „etwas zu Jonny und seinem Leben erzählen“, sagt die Schwester. Zudem planen die Angehörigen eine „große Abschiedsparty am Abend, da dies bei uns Buddhisten so üblich ist“, sagt Tina K. Die Einzelheiten müssten noch geklärt werden. Die Leiche des Bruders werde später eingeäschert und die Urne dann beigesetzt – in aller Stille.

Einer der Täter soll sich inzwischen in die Türkei abgesetzt haben. Ob er die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft besitzt – oder gar beide – blieb gestern unklar. Dies hätte Auswirkungen auf ein späteres Gerichtsverfahren: Ist der Verdächtige Deutscher, muss die Türkei ihn ausliefern. Wenn er Türke ist, wird ihm in seiner Heimat der Prozess gemacht. Schwierig sei es, wenn jemand beide Staatsangehörigkeiten besitzt, sagte ein Ermittler. Allerdings reichen die Ermittlungsergebnisse bislang nicht für einen Haftbefehl bei dem einen namentlich bekannten Verdächtigen. Den Tipp haben die Fahnder von einem Zeugen. Am Sonnabend war von dieser „heißen Spur“ berichtet worden, seitdem sind bei der Polizei kaum noch neue Hinweise eingegangen. So heiß sei die Spur aber nicht, hieß es gestern. Dringend werden Zeugen gesucht unter Telefon 4664 911 101. (mit dpa)

Zur Startseite