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Zurückbleiben, bitte? Wer wird künftig die S-Bahn in Berlin betreiben?

© Paul Zinken/dpa

Gewerkschaft warnt vor Chaos durch die Ausschreibung: S-Bahn könnte erstmals aufgeteilt werden

Es geht um ein Acht-Milliarden-Euro-Paket: Rot-Rot-Grün will das Monopol der Deutschen Bahn brechen. Künftig sollen mehrere Unternehmen die S-Bahn betreiben.

Die S-Bahn wird revolutioniert, und geht es nach Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), bekommen die Fahrgäste davon nicht das Geringste mit. Am Dienstag stellte die Grünen-Politikerin die kurz zuvor vom Senat beschlossenen Eckpunkte des S-Bahn-Vergabeverfahrens vor. Demnach könnten künftig mehrere Unternehmen für Erwerb, Instandhaltung und Betrieb des Fuhrparks der S-Bahn verantwortlich sein. Gelten soll das sowohl auf der Stadtbahn als auch auf den Nord-Süd-Strecken, also auf rund zwei Dritteln des S-Bahn-Netzes der Stadt. Das Paket hat einen Umfang von acht Milliarden Euro, verteilt über viele Jahre.

Erstmals könnte das bis dato bestehende Monopol der S-Bahn-Berlin, einer Tochter der Deutschen Bahn, gebrochen werden. Die Qualität für Fahrgäste soll aus Sicht der Verkehrssenatorin dadurch steigen und zudem Geld gespart werden. Von 800 Millionen Euro ist die Rede, wobei Zweifel erlaubt scheinen.

Günther wiederum zeigte sich vom Erfolg des ehrgeizigen Unterfangens überzeugt. „Der ÖPNV soll das Rückgrat unserer neuen Mobilität sein, die S-Bahn wird ein zentraler Pfeiler dessen“, erklärte die Senatorin. Aktuell verfüge die Bahn-Tochter über zu wenige und zu alte Wagen. Geplante Maßnahmen wie die angestrebte Taktverdichtung ließen sich unter diesen Bedingungen nicht umsetzen, sagte Günther.

Daran, dass ausgerechnet eine Aufsplittung des bisher als Einheit betriebenen S-Bahn-Systems der Stadt für Verbesserungen im Sinne der Fahrgäste wird sorgen können, gibt es erhebliche Zweifel. Robert Seifert, Vorsitzender der Betriebsgruppe der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bei der S-Bahn-Berlin, warnte bis zuletzt vor „deutlichen Verschlechterungen bis hin zum völligen Chaos“ durch die mögliche Aufteilung des Betriebs. In einem Hintergrundpapier der Gewerkschaft zur Idee für das Vergabeverfahren heißt es: „In ihrer bisher vorgesehenen Form ist sie aus Beschäftigtensicht nicht akzeptabel und birgt große Gefahren für die Zuverlässigkeit des S-Bahn-Betriebs.“ Günther, die einräumte, das Vorhaben sei nicht frei von Risiko, konterte gelassen: „Wenn ich jetzt S-Bahn und Chaos höre – es war die ganze Zeit ein Unternehmen verantwortlich“, so ihr Seitenhieb auf die Berliner S-Bahn. Wer im Glashaus sitze, solle nicht mit Steinen werfen, fügte Günther hinzu.

Fallstricke für den nicht zuletzt klageanfälligen Mega-Deal gibt es einige. Da wäre das Nachbar-Bundesland Brandenburg, das bislang ebenfalls für die Leistungen der Berliner S-Bahn an die Deutsche Bahn zahlt. Es müsste den Vergabeplänen Berlins zustimmen und sich an der Finanzierung beteiligen. Nach der Landtagswahl und dem Verlust der Mehrheit für das bis dato rot-rote Regierungsbündnis sind die neuen Partner noch mit der Regierungsbildung beschäftigt. Fest steht, dass die CDU das bislang von der SPD geführte Infrastrukturministerium übernehmen wird. Ob sich der oder die Amtsnachfolgerin von SPD-Ministerin Kathrin Schneider an die getroffenen Absprachen gebunden fühlen wird, ist offen. Hinzu kommt: Die Zeit drängt. Um die erste Stufe des Vergabeverfahrens, wie von Günther geplant, noch in diesem Jahr starten zu können, müssen die Brandenburger spätestens Mitte Dezember ihr Einverständnis geben. Ein ambitionierter Zeitplan angesichts der geplanten Konstituierung des Kenia-Bündnisses aus SPD, CDU und Grünen am 20. November. „Berlin hat seine Hausaufgaben gemacht“, erklärte Günther in Richtung Nachbar-Bundesland. Die Zustimmung der Brandenburger sei ein „Risikolos“.

Für Unruhe unter den derzeit 1149 Triebfahrzeugführern der Berliner S-Bahn dürfte darüber hinaus eine Antwort Günthers auf die Nachfrage sorgen, ob bei der realistisch ab 2026 denkbaren Auslieferung von 1300 neuen S-Bahnwaggons auch die technischen Voraussetzungen für das autonome Fahren gegeben sein werden. „Das wird angestrebt“, sagte Günther, ohne sich allerdings auf einen konkreten Zeitpunkt für Berlins erste fahrerlos durch das Stadtgebiet rauschende Bahn festlegen zu wollen. In jedem Fall sollen die von den künftigen Bewerbern zu beschaffenden Züge für die Funktion „nachrüstbar“ seien, erklärte Günther.

EVG-Sprecher Seifert wiederum versicherte, auf die erste autonom fahrende S-Bahn müssten die Berliner – im Gegensatz zu Hamburg – wohl noch Jahre warten. „Das Berliner Netz ist technisch absolut nicht auf dem nötigen Stand“, erklärte Seifert dem Tagesspiegel. Was für den Fern-, Güter- und auch Regionalverkehr absehbar möglich scheine, sei für die Berliner S-Bahn „völlig undenkbar“, sagte Seifert weiter. Für die rund 2500 Beschäftigten der Berliner S-Bahn steht dennoch fest: Endet das Vergabeverfahren wie von Günther angestrebt mit einer Zusage Ende 2021, werden bis zu zwei Drittel von ihnen künftig für andere Arbeitgeber für einen reibungslosen Ablauf auf Berlins Schienen sorgen müssen.

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