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Berlin: Glänzende Aussichten

Zur DDR-Zeit wurde in Schloss Rheinsberg ein jahrhundertealtes Erbe zerstört – nun kehrt die Pracht zurück

Die Jugendlichen im Rheinsberger Schloss gönnten sich kaum eine Pause. Angetrieben von Propagandisten stürzten sie sich Anfang der fünfziger Jahre im blinden Eifer auf die Kamine in den herrschaftlichen Salons und Speisezimmern. Mit rücksichtsloser Gewalt rissen sie die Schmuckstücke heraus, um sie im nahen Grienericksee für alle Ewigkeit zu versenken. So lautete jedenfalls das Ziel dieser vom DDR-Jugendverband FDJ organisierten Aktion. Das vom preußischen König Friedrich II. während seiner Kronprinzenzeit und anschließend von dessen Bruder Heinrich bewohnte und geprägte Schloss sollte eine völlig neue Verwendung erhalten – als Sanatorium für Diabetiker.

Im Glauben an ein gutes Werk zerstörten die Jugendtrupps zusammen mit Baubrigaden ein jahrhundertealtes Erbe. Die romantisch illusionistische Grottenmalerei in den Gewölben des Erdgeschosses wurde einfach übertüncht. Heizkörper, Waschbecken, Toilettenschüsseln, Behandlungsliegen, Röntgenapparate und Räumlichkeiten zur Speisenausgabe ließen in allen Etagen von der historischen Substanz nicht viel übrig. Nur an einigen Stellen bewahrte die Bequemlichkeit der Bauleute wertvolle Wandgestaltungen vor dem Abbruch. Sie behalfen sich mit einfachen Gips- oder Holzverschalungen, um glatte Flächen zu erhalten.

Die nach der Wende ins Haus beorderten Restauratoren konnten daher manchmal ihr Glück kaum fassen, als sie hinter den Verkleidungen noch auf die originalen Malereien, Schnitzereien und Tapeten stießen. Bis heute können Besucher an diesen Entdeckerfreuden teilhaben, denn die Restaurierung läuft noch bis zum Jahre 2010.

An den Türen legen die Fachleute bis zu elf unterschiedliche Farbschichten frei, von denen die erste tatsächlich auf Friedrichs Zeiten zurückgeht. Andere Kollegen kümmern sich um Wand- und Deckenmalereien, Kronleuchter, Dielen oder um die Kamine, von denen einige nach der Wende sogar im See bei der Reparatur der Ufermauer gefunden wurden. So lässt sich die zurückgewonnene Pracht in den 33 begehbaren Räumen heute wieder bestaunen.

Um so manches Schmuckstück ranken sich spannende Episoden und sogar von Wundern wird erzählt. So durchforstete vor ein paar Jahren ein Gemälde-Experte die Depots mehrerer Museen in Frankreich und wurde in Bordeaux fündig. Das Musée des Beaux-Arts bewahrte Bilder aus der Gemäldesammlung des Prinzen Heinrich von Preußen auf. Sie standen dort im Depot. Mit kriminalistischem Gespür wurden die Kostbarkeiten niederländischer, spanischer und deutscher Künstler ermittelt und geprüft. Dann stand fest: Sie hingen einst tatsächlich im Rheinsberger Schloss. Nach 200 Jahren befinden sich die Gemälde nun wieder am angestammten Platz – als Leihgaben des Museums in Bordeaux und als dauerhafte Ankäufe.

Nach dem Ableben des Prinzen 1802 waren diese und viele andere Kostbarkeiten in Versteigerungen angeboten worden. Denn der einstige Kommandeur der Preußischen Armee im Siebenjährigen Krieg hatte der Nachwelt hohe Schulden hinterlassen. Das Geld steckte nicht zuletzt im Umbau des 1744 von seinem Bruder und König übernommenen und ab 1753 bewohnten Schlosses. Ganze fünf Räume beließ Prinz Heinrich in ihrer ursprünglichen Ausstattung, darunter den großen Spiegelsaal mit dem von Antoine Pesne gemalten Deckengemälde. Es zeigt Aurora, die Göttin der Morgenröte, die vor dem Sonnenwagen Apolls schwebt, während die Göttin der Nacht entschwindet. Vermutlich ist es eine Allegorie auf die Thronbesteigung des Kronprinzen im Jahre 1740.

Alle anderen Salons und Kabinette im Schloss wurden nach Prinz Heinrichs Willen völlig neu gestaltet, beispielsweise die Wohnung der Prinzessin Wilhelmine, der Muschelsaal, die Paradeschlafkammer und Bibliothek. Auch äußerlich veränderte man das Gebäude durch die stadtseitig gelegenen Eckbauten beträchtlich.

An die Bilderstürmerei der Rheinsberger Jugend vor mehr als fünf Jahrzehnten erinnern heute nur noch einige Tafeln. Irgendwo liegt bestimmt auch das Schild mit der Aufschrift „Diabetiker-Sanatorium Helmut Lehmann – kein Durchgang – Keine Schloßbesichtigung – Weg nur für Patienten“. Am 1. April 1991 übernahm die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Rheinsberg und eröffnete nach und nach die ersten Museumsräume. Die Herkunft des Namens Helmut Lehmann blieb unergründlich. Wahrscheinlich hat der Mann eine Rolle in der Sozialversicherung der DDR gespielt. Darauf deuteten einige Hinweise.

Jedem bekannt ist hingegen ein Name, der heute auf Schildern und Hinweistafeln am und im Schloss steht: Kurt Tucholsky. Der Schriftsteller hat hier ein Museum erhalten, das in Berlin schon lange vorgesehen war und dann in Vergessenheit geriet. Die Rheinsberger aber überlegten Mitte der neunziger Jahre nicht lange und ehrten einen ihrer wichtigsten Tourismuswerber mit einer umfangreichen Ausstellung. Tucholsky publizierte schon als 22-Jähriger sein romantisches Buch „Ein Bilderbuch für Verliebte“. Claire und Wölfchen ließ er in Rheinsberg von der Ruhe, den schattigen Wegen, der stillen Fläche des Sees und den Bäumen schwärmen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

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