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Gleiten statt schwimmen: Rollbretter mit Geschichte

Europas erstes Skateboard-Museum zieht aus Stuttgart ins stillgelegte Stadtbad Wedding. Sein Betreiber Jürgen Blümlein ist schon da und plant. Im Sommer 2013 ist Eröffnung.

Stadtbad Wedding, später Vormittag. Im Treppenhaus kommt einem ein Mann entgegen, man fragt ihn nach dem Weg zur Fußpflegepraxis. Die sei doch längst ins Nachbarhaus gezogen, raus aus dem Gebäude und dann gleich links. Ein kurzer Moment der Irritation. Dann wird dem Mann klar, dass die Besucher nicht zur Pediküre wollen, sondern zu den Betreibern des Skateboard-Museums, die in den Räumen der ehemaligen Fußpflegepraxis vor kurzem ihr Büro bezogen haben. Die Treppe hoch und dann die Tür links. Hier, in der ersten Etage des seit 2002 stillgelegten Stadtbads, planen Jürgen Blümlein und Daniel Schmid den Einzug ihres Museums in den angrenzenden Wannenbadbereich. Voraussichtlich nächsten Sommer wollen sie eröffnen.

Hinter der Glastür mit der irreführenden Aufschrift aus längst vergangenen Tagen sitzt Jürgen Blümlein an einem Schreibtisch und guckt auf den Bildschirm seines Rechners. An den Wänden hängen Umbaupläne, auf dem Tisch liegen Briefe, schräg gegenüber steht ein Regal mit Magazinen und Büchern. In der anderen Ecke des Raumes türmt sich auf einem Tisch ein Stapel alter T-Shirts, daneben sorgfältig angeordnet mehrere Paar abgewetzte Skateboard-Schuhe. Alles künftige Ausstellungsobjekte. Der Eindruck: gepflegtes Chaos. Jürgen Blümlein, drahtiger Körper in weißem Shirt mit Comic-Aufdruck und armeefarbener Hose, scheint jedoch den Überblick zu behalten. Er verlässt seinen Schreibtisch, geht zum Regal und zieht mit sicherem Griff ein dickes Buch heraus. Darin geht es um die Geschichte des Skateboard-Schuhs, aufgeschrieben hat sie Blümlein selbst, zusammen mit zwei Kollegen.

Dass sich der 39-Jährige mit dem Thema auskennt, liegt auf der Hand. Als Jugendlicher entdeckte der gebürtige Böblinger das Skaten. Die Faszination dafür hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Rollbretter, die die Welt bedeuten. In der Stuttgarter Innenstadt betreibt Jürgen Blümlein mit seinem Mitstreiter Daniel Schmid seit acht Jahren Europas erstes Skateboard-Museum. Doch weil seit fünf Monaten klar ist, dass der Mietvertrag für die Räume in dem ehemaligen Filmhaus zum 31. Dezember auslaufen wird, mussten sich die beiden nach einem neuen Standort für ihre Sammlung umgucken. Die Wahl fiel auf Berlin, aus einem simplen Grund: Seit sieben Jahren wohnen und arbeiten sie hier. Als sie dann auch noch auf das Stadtbad Wedding aufmerksam wurden und sich ihnen die Chance bot, mit ihrer Sammlung hier unterzukommen, war die Entscheidung gefallen.

„Das Skateboard-Museum passt gut hierher“, findet Jürgen Blümlein, der einst an der Filmakademie Ludwigsburg studiert hat, die Filmbranche aber zugunsten seines Hobbys aufgegeben hat. Dass es in der Hauptstadt ein interessiertes Publikum gibt, weiß er aus eigener Erfahrung. Im Oktober 2004 zeigte er im L54 in der Leipziger Straße in Mitte einen Teil seiner Sammlung, die zweiwöchige Ausstellung wurde ein Erfolg. Daran möchte er nun anknüpfen. Wedding sei dafür der richtige Ort. Nicht so auf Hochglanz poliert wie Prenzlauer Berg oder Mitte. Die Gegend ist bodenständig und vor allem: bezahlbar. Ungewöhnliche Ideen lassen sich hier noch realisieren.

Zum Beispiel im Stadtbad Wedding. Das Gebäude in der Gerichtstraße fällt mit seinen Graffitischriftzügen und seinen bunten Plakaten an der Fassade schon von Weitem auf. Mehrere Jahre stand die ehemalige Volksbadeanstalt, die 1907 eröffnet wurde, leer. Dann kaufte Immobilienentwickler Arne Piepgras den Komplex mit der Idee, hier eine große Kunsthalle zu schaffen. Aus dem Plan wurde nichts. Kreativ genutzt wird das alte Stadtbad heute trotzdem, mit der Unterstützung des Investors. Junge Künstler haben hier ihre Ateliers; Musiker wie die kanadische Sängerin Peaches und Jochen Distelmeyer, ehemaliger Kopf der mittlerweile aufgelösten Band Blumfeld, proben hier. Über dem Nebeneingang, der einst zum Solarium führte, prangt der Schriftzug „Raumfahrtagentur“ – Technik-Nerds aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs gehen dort ihren Ideen nach. In den leeren Schwimmbecken finden regelmäßig Konzerte und Ausstellungen statt, und im vergangenen Herbst war das Stadtbad Austragungsort der ersten Flummi-WM Deutschlands. Wenn man so will, ist das Stadtbad das Tacheles des Weddings.

Das Skateboard-Museum wird diesen Kreativmix bald schon erweitern. Im ehemaligen Wannenbadbereich sollen Bretter, Schuhe, Filme, Magazine und sinnvoller wie unnützer Skateboard-Schnickschnack gezeigt werden. 800 Quadratmeter voll mit Objekten, die das Skater-Herz höher schlagen lassen. Wie das mal aussehen wird, lässt sich derzeit allerdings nur erahnen. Noch ist der Bereich in Dutzende weiß geflieste Badekabinen mit Wannen unterteilt, von der Decke hängen Kabel, der Boden ist verzogen. Mit zwei Weddinger Architekten sitzt Jürgen Blümlein derzeit über den Plänen für den Ausbau. Elektrik, Notausgänge, Brandschutz – das alles muss gemacht werden. Vielleicht auch die Außenfassade, um den derzeit ziemlich abgerockten Eindruck etwas aufzuwerten. Aber nicht zu sehr, versteht sich. Soll ja immer noch zu Wedding passen.

Gerade ist Blümlein dabei, einen Kostenplan zu erstellen. Und zu gucken, ob er eine Förderung beantragen kann, EU-Mittel oder Lotteriegelder. Dass sein Museum den Kiez voranbringen wird, davon ist er überzeugt. Die Sammlung werde für jeden zugänglich sein, egal ob Tourist oder Anwohner. „Das Gute ist, dass man nicht Kunst studiert haben muss, um ins Skateboard-Museum zu kommen“, sagt Blümlein. Dann setzt er sich wieder an seinen Schreibtisch. Es gibt noch viel zu tun.

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